Gerry Adams hält Ehrenwache am Sarg von Nelson Mandela

Abschied nehmen vom Kampfgefährten Madiba

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Sinn Féin Präsident Gerry Adams berichtet über die Trauerfeierlichkeiten für Nelson „Madiba‘ Mandela und seine Beerdigung:

Das grüne Grasland von Qunu erwacht im Licht des frühen Morgens zum Leben, als wir am vergangenen Sonntagmorgen aus dem Bus aussteigen. Es war eine dreieinhalbstündige Fahrt vom Flughafen East London, am Eastern Cape, über dunkle und verwinkelte Straßen. Qunu ist die Heimat Madibas. Hier möchte er beerdigt werden. Als die Sonne sich langsam über die Hügel erhebt, zeigt ihr Licht eine Landschaft, ähnlich zu einigen Gegenden, die ich aus dem Westen Irlands kenne. Ein großer blauer Himmel und in der Entfernung Häuser zwischen den Hügeln. Hier wurde Madiba geboren, hier wuchs er auf. Und nach Qunu kehrt er zurück. Nach neun Tagen Trauer in Südafrika ist er nun bei den Seinen.

Richard McAuley und ich waren am Donnerstag in Pretoria angekommen. Irische Republikaner haben eine lange Verbundenheit mit dem ANC, die viele Jahrzehnte zurückreicht. Wir haben einander im Kampf und in unseren jeweiligen Friedensbemühungen unterstützt. Nelson Mandela und andere in der Führung des ANC waren und sind sehr solidarisch in der Unterstützung irischer Republikaner. Es war richtig und passend, dass Sinn Féin an der Beerdigung teilnahm, aber es war genauso wichtig, dass wir als Kampfgefährten einen Genossen ehrten, für den wir höchste Bewunderung und Respekt empfinden.

Feierliche Aufbahrung

Als wir ankamen, brachte uns der ANC in die Union Buildings in Pretoria, wo Madiba feierlich aufgebahrt war. Richard und ich waren schon mehrmals hier, als wir 1995 Thabo Mbeki trafen, der damals stellvertretender Präsident von Südafrika war, und später, während der Präsidentschaft von Thabo. Union Buildings ist beeindruckend. Es befindet sich auf der höchsten Erhebung Pretorias und sieht hinunter auf die Stadt. Es ist der offizielle Sitz der Regierung und des Präsidenten. Diesen Monat feierte es seinen 100. Geburtstag. Am Montag, dem Tag nach der Beerdigung Madibas, wurde es zum nationalen Kulturerbe ernannt.

Zwischen den beiden Flügeln des Gebäudes befindet sich ein Amphitheater in griechischem Stil, das 9000 Menschen fasst und für nationale Zeremonien verwendet wird. Vor neunzehn Jahren wurde hier Madiba als der erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas vereidigt. Es war deswegen angemessen, dass der Leichnam hier in einer speziellen Schutzhülle aufgebahrt war. Drei Tage lang ging die Bevölkerung in zwei Strömen an ihm vorbei. Die Schlangen der normalen Südafrikaner zog sich kilometerweit, den Berg hinunter und durch die Straßen der Stadt. Ab 4 Uhr morgens kamen neue Menschen dazu und warteten geduldig in der brütenden Hitze, um ihrem Führer die letzte Ehre zu erweisen. Man schätzt die Anzahl an Menschen, die während dieser drei Tage schweigend und traurig an Madiba vorbeizogen, auf über Einhunderttausend.

Wir trafen unsere ANC Genossen im Oliver Tambo Building und wurden geradewegs zum Vorderaufgang von Union Buildings gebracht. Wir schlossen uns hier dem Strom der Bürgerinnen und Bürger an, der ständig in Bewegung war. Pater Barney McAleer, ein Mann aus (der nordirischen Provinz) Tyrone, der seit fast fünfzig Jahren in Südafrika lebt, begleitete uns.

An jeder Ecke des Sarges stand ein Soldat mit nach unten gerichtetem Gewehr. Das einzige Geräusch, das zu hören war, waren die Schritte vieler Füsse, als wir schweigend einer nach den anderen am Sarg vorbeizogen. Der Sarg war offen und man konnte Madiba unter einer gläsernen Abdeckung sehen. Es war ein emotionaler und tief trauriger Moment. Viele der Vorbeiziehenden weinten leise in sich hinein. Und dann wurden wir weitergeschoben. Als er hier 1994 zum Präsidenten eines freien und demokratischen Südafrika ernannt wurde, sagte Madiba:

“Wir wissen, dass es immer noch keinen einfachen Weg zur Freiheit gibt. Wir wissen sehr gut, dass keiner von uns alleine Erfolg haben kann. Wir müssen deshalb gemeinsam als einiges Volk handeln, für nationale Versöhnung, für den Aufbau einer Nation und für die Geburt einer neuen Welt.
Lasst uns Gerechtigkeit für alle schaffen.
Lasst uns Frieden für alle schaffen.
Lasst uns Arbeit, Brot, Wasser und Salz für alle schaffen.
Lasst uns als Regenbogennation dieses Ziel im Auge behalten und verwirklichen.“

Die ‘Entsende-Zeremonie’

Acht Tage lang war die südafrikanische Regierung verantwortlich für das Staatsbegräbnis ihres ehemaligen Präsidenten. Aber am Samstag, als sie Vorbereitungen für die Überführung in den Süden nach Qunu trafen, wurde der Leichnam Madibas an seine Genossen vom ANC und an die Veteranen von Umkhonto we Sizwe (MK, Speer der Nation), dem militärischen Arm des ANC, den Madiba am 16. Dezember 1961 gründete, übergeben.

Das Program began um 5.30 Uhr. Der ehemalige MK-Aktivist und politische Gefangene Robert McBride, der viele Male in Irland war, fuhr uns zur Basis der südafrikanischen Luftwaffe in Waterkloof. Eine riesige Flugzeughalle war dort in einen Veranstaltungssaal verwandelt worden. Zweitausend speziell eingeladene Aktivisten des ANC und des MK, sowie international Gäste von Befreiungsbewegungen und Solidaritätsbewegungen waren in Solidarität mit der Familie gekommen, um ihrem ehemaligen Genossen und Präsidenten Lebwohl zu sagen.

Vor der Tribüne war der Platz für den Sarg. Das Warten auf das Eintreffen Madibas war eine Gelegenheit, Genossen zu treffen, die wir länger nicht gesehen haben. Ab und zu würden Gruppen von ANC AktivistInnen, darunter viele ältere Frauen in traditionellen Gewändern, durch die Halle im toyi-toyi tanzen und dabei Lieder über Madiba und den Widerstand gegen die Apartheid singen. Es war eine fröhliche Feier des Lebens ihres Führers, des Mannes, den sie ‚Tata‘ nannten. In Xhosa heisst das ‚Vater‘. Dieser Begriff wurde während der zehn Tage des Trauerns von Politikern und Kirchenleuten, von politischen Aktivisten, Bürgern und Medien benutzt. Madiba war ihnen allen ein Vater.

Als sein Leichnam um 7 Uhr morgens eintraf, wurde die südafrikanische nationale Fahne vom Sarg genommen und durch die Fahne des ANC ersetzt. Gruppen von Aktivisten – in der Mehrzahl Veteranen von ANC und MK – hielten abwechselnd die Ehrenwache am Sarg. Es war uns eine große Ehre, als wir gebeten wurden, daran teilzunehmen. Richard und ich nahmen unsere Plätze ein, standen in stillem Gedenken und ehrten eine große Persönlichkeit im Namen aller irischen Republikaner. Nach einigen Stunden mit Solidaritätsbotschaften vom Kongress der südafrikanischen Gewerkschaften, der südafrikanischen kommunistischen Partei und anderen, einer bewegenden Rede des Präsidenten Jacob Zuma, nach viel Musik, Liedern und Poesie, wurde die ANC Fahne entfernt, zusammengefaltet und der Familie Mandelas übergeben. Madiba wurde dann aus der Halle gebracht und nach Süden in seine Heimat Qunu geflogen.

Madiba kommt nach Hause

Ein paar Stunden später nahmen wir den Flug nach East London, wo wir einige der anderen 4000 Gäste trafen, die zur Beerdigung eingeladen waren. Ein Konvoy von Bussen verlies den Flughafen am Sonntag um 1.00 Uhr, um die lange Reise nach Qunu anzutreten. Es war unmöglich, etwas von der Landschaft zu erkennen. Die Nacht war dunkel und es gab nur wenige Lichter an der Straße ausser dem Licht der Busse.

Sonntag war der letzte Tag der offiziellen Trauerfeiern. Zehn lange Tage für Südafrika und zehn lange Tage für eine trauernde Familie, die ihren Ehemann, Vater und Großvater mit dem Rest der Welt teilte. Qunu ist ein einsamer Teil des Eastern Cape. Tagelang hatte es geregnet und die Verantwortlichen waren besorgt, dass weiterer Regen die Beerdigung erschweren könnte. Aber es regnete nicht. Der Himmel war klar. Es war ein heißer Sommertag, als Madiba zum letzten Mal sein Haus auf dem Weg zu einem großen Zelt verlies, in dem die Beerdigungszeremonie stattfand.

In diesen großen Raum einzutreten, war wie das Betreten einer Kathedrale. Der südafrikanischen Regierung war es gelungen, einen wunderbaren Raum zu schaffen, in dem Madibas Leben gefeiert werden konnte. Die Decke war hoch, die Luft kühl und die Farben der großen Leuchten wechselten im Verlauf der Zeremonie von blau nach gold. Zentral auf der Bühne stand ein Portrait Madibas hinter 95 Kerzen, die die 95 Jahre seines Lebens representierten. Auf der einen Seite standen Musiker, auf der anderen erhob ein Chor immer wieder seine Stimme zu einem Lied und füllte das Auditorium mit Leben und mit Emotionen. Die Veranstaltung hatte Cyril Ramaphosa organisiert, der enge Verbindungen mit dem irischen Friedensprozess hat. Beiträge gab es unter anderen vom Präsidenten Malawis Joyce Banda und dem Präsidenten Tanzanias Jakaya Kikwete, der Madibas erste Besuche in Erinnerung rief, in denen er Unterstützung durch Training Camps für den MK suchte. Auch Kenneth Kaunda, der ehemalige Präsident von Zambia, hielt eine Rede.

Alle sprachen bewegend über Mandelas Beitrag für Südafrika, für Afrika und für die ganze Welt. Sie riefen viele seiner Qualitäten und Talente in Erinnerung. Aber alle betonten die Bedeutung seines Erbes und sprachen von der Notwendigkeit, den Idealen von Frieden und Versöhnung nachzueifern, die er verkörperte. Die bewegendste Rede kam von seinem engen Freund und Mitgefangenen auf Robben Island, Ahmed Kathrada, der 26 Jahre im Gefängnis verbrachte. Gebrechlich und sichtbar bewegt beschrieb Kathrada, wie Madiba und er sich gegenseitig als ‘Madala’, als ‘Älterer’ titulierten. Er sagte:

“Madala, Deine Fülle von Liebe, Einfachheit, Ehrlichkeit, Dienst, Bescheidenheit, Fürsorge, Mut, Vorausschau, Geduld, Toleranz, Gleichheit und Gerechtigkeit dienten vielen Millionen Menschen in Südafrika und in der Welt als Quelle enormer Kraft. Du symbolisierst heute und auf immer die Qualität kollektiver Führung, Versöhnung, Einheit und Vergebung. Du hast tagtäglich für ein einiges, nicht-rassistisches, nicht-sexistisches und demokratisches Südafrika gekämpft.“

Am Ende brach seine Stimme überwältigt von Emotionen als er sagte:

„Als Walter [Sisulu] starb, verlor ich einen Vater. Nun habe ich einen Bruder verloren. Mein Leben ist leer und ich weiss nicht, an wen ich mich nun wenden soll.“

Am Ende der Zeremonie wurde Madibas Leichnam im Sarg nach draussen getragen und auf einen Wagen gelegt. Die Mehrzahl der 4000 Gäste blieb in der Halle und verfolgte die Beerdigung auf riesigen Bildschirmen. Wir wurden eingeladen, am Grab die Beerdigung mitzuverfolgen und zu trauern. Sprache und Lieder waren für uns ungewohnt, aber als Familienmitglieder Blumen am Grab niederlegten und etwas Erde ins Grab warfen, wurde die Ähnlichkeit zu unseren eigenen Ritualen in Irland sichtbar. Madibas Grab befindet sich auf einem Hügel in einem kleinen Garten. Man hat einen großartigen Blick über Qunu und die Berge, in denen Madiba als Junge spielte. Als alles vorbei war, machten Richard und ich uns auf den Weg, den Berg hinunter und mit dem Bus nach East London.

Madiba ist gegangen. Aber seine Worte mahnen uns. Jeden Tag aufs Neue müssen wir versuchen, sein Erbe der Hoffnung, des Mutes, des Vergebens und der Versöhnung umzusetzen. In vielen Gesprächen über den irischen Friedensprozess verstand Madiba sofort die Schwierigkeiten, aber auch die einzige Richtung, in die wir gehen konnten, um weitere Jahrzehnte des Konflikts zu vermeiden. Er unterstützte den Friedensprozess in Irland ohne Vorbehalte, auf der Gundlage von Gleichheit und Integration. Er wusste, dass wir alle an der Lösung arbeiten müssen.

Richard Haass und Meghan O’Sullivan werden in Kürze ihre Vorschläge zur Überwindung der schwierigen Themen der Fahnen und Symbole, sowie der Aufarbeitung der Vergangenheit präsentieren. In den darauffolgenden Tagen, wenn wir Lösungen suchen, sollten wir uns an die Worte Nelson ‘Madiba’ Mandelas erinnern:

“Keiner wurde geboren, um eine andere Person wegen der Farbe der Haut, seiner Herkunft oder seiner Religion zu hassen. Menschen müssen den Hass erst lernen und wenn sie den Hass lernen können, dann können sie auch die Liebe lernen. Denn Liebe ist für das menschliche Herz viel natürlicher als sein Gegenteil.“


Original: Gerry Adams: „Saying goodbye to Comrade Madiba“, 19.12.2013 weiterlesen >>

Gerry Adams ist Präsident der irisch-republikanischen Linkspartei Sinn Féin.

Übersetzung: Uschi Grandel, 31.12.2013

Foto (Sinn Féin): Ehrenwache am Sarg

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