Mural zum Gedenken an Pat Finucane

Zeit für die Wahrheit

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Nordirland: Angehörige der Opfer probritischer Paramilitärs kämpfen weiter

Am 12. Februar vor 32 Jahren wurde der Belfaster Menschenrechtsanwalt Patrick (Pat) Finucane zuhause vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder von pro-britischen Todesschwadronen erschossen. Seither kämpft die Familie um die Aufklärung des Mordes und seiner Strippenzieher. Wenn man als Maßstab für den Erfolg den Widerstand des britischen Establishments nimmt, war die Kampagne bisher äußerst erfolgreich. Dabei hat sie ihr Ziel immer noch nicht erreicht. Aber auf dem Weg dahin musste 2012 selbst der britische Anwalt Sir Desmond de Silva in seinem staatlich bestellten Gutachten feststellen, dass die Tat ohne Mitwisserschaft von Regierungsstellen nicht möglich gewesen wäre. „Schönfärberei“ konterte die Familie und setzte weiterhin auf Druck und Solidarität für eine unabhängige Untersuchung.  

Dabei steht sie nicht allein und kämpft auch nicht allein. Eine große Zahl ähnlicher Kampagnen von Hinterbliebenen fordert die Wahrheit über die Ermordung ihrer Angehörigen während des Nordirlandkonflikts. Sie unterstützen sich gegenseitig und fordern Aufschluss über den Anteil, den  staatliche Stellen an diesen Morden hatten. Nach heutigem Wissensstand reicht diese Unterstützung von der Informations- und Waffenbeschaffung für pro-britische Paramilitärs über den Aufbau von Todesschwadronen und die  Verschleierung der Taten bis hin zu gemeinsamen Anschlägen von Paramilitärs und Polizei oder Armee. Es sind auch Fälle bekannt, in denen die Polizei mangels verfügbarer Paramilitärs Anschläge selbst verübte. Im Januar 2021 forderten über 3000 Angehörige der Opfer solcher nicht aufgeklärter Morde unter der Überschrift »Time for Truth« (zu deutsch: Zeit für die Wahrheit) in einem offenen Brief die längst versprochene Aufklärung ein.  

Im Fall der Ermordung von Pat Finucane schien die Familie im Herbst letzten Jahres ihrem Ziel einer unabhängigen Untersuchung ein großes Stück näher gekommen zu sein. Der oberste britische Gerichtshof stellte fest, die bisherigen Untersuchungen seien ineffizient gewesen und erfüllten nicht die hohen Standards, die eine Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen einhalten müsse. Als die britische Regierung auf das Urteil nicht reagierte, erhielt sie vor Gericht eine schallende Ohrfeige und wurde zu einer Stellungnahme verurteilt. Fristgerecht erfolgte die Stellungnahme durch Brandon Lewis, dem aktuellen Nordirlandminister der britischen Regierung, im November 2020. Die nordirische Polizeiombudsstelle solle sich der Sache annehmen, erklärte er, ohne rot zu werden. Hat doch die britische Regierung in anderen Fällen bereits gezeigt, dass sie Veröffentlichungen dieser Behörde unterbinden kann, wenn sie zu intensiv ermittelt.

Offene Worte kamen von Nuala O’Loan, der ersten Chefin dieser Institution, die nach dem Friedensabkommen von 1998 geschaffen wurde, um Beschwerden über die Polizei nachzugehen. Sie erklärte, dass die Behörde gar nicht im Mordfall Finucane ermitteln könne, da ihr die Befugnisse fehlten. Denn „sie hat keine Erlaubnis, gegen loyalistische (pro-britische) Paramilitärs, Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums oder der Sicherheitsdienste mit dem Ziel einer Anklage zu ermitteln – das ist in diesem Fall aber nötig.“

So sind es in einigen Kampagnen mittlerweile die Enkel, die den Kampf weiterführen. Es sieht nicht so aus, als würden sie aufgeben.

Erstveröffentlichung: Uschi Grandel, junge Welt vom 17.2.2021