Anfang Mai 2014 machte die Verhaftung von Gerry Adams, dem Präsidenten der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin international Schlagzeilen. Gerry Adams ist seit Jahrzehnten einer der führenden Köpfe der irisch-republikanischen Bewegung, Architekt des nordirischen Friedensprozesses und aktuell Abgeordneter im irischen Parlament Dáil. Kurz nach seiner Entlassung aus viertägiger Untersuchungshaft im Verhörzentrum der nordirischen Polizei PSNI in Antrim sprach Gerry Adams auf der Pressekonferenz seiner Partei in West Belfast. Wir geben seine Rede in leicht gekürzter Form wieder:
„Ich kam am vergangenen Mittwoch freiwillig aus dem Dáil in die PSNI-Kaserne in Antrim. Mein Rechtsanwalt hatte der PSNI bereits vor zwei Monaten meine Bereitschaft zu einem Treffen mitgeteilt. Grund hierfür waren neue Spekulationen der Medien, die mir eine Beteiligung an der Tötung von Jean McConville unterstellen. Wegen des Zeitpunkts hatte ich Bedenken, da Sinn Féin irlandweit mitten im Wahlkampf wichtiger Europa- und Kommunalwahlen steckt. Ich danke meinem Anwalt Seamus Collins und seinem Kollegen Eugene McKenna für ihre sorgfältige und professionelle Arbeit. Ich danke auch allen, die gute Wünsche an (meine Frau) Colette, meine Familie oder an meine Genossen in Sinn Féin geschickt haben, für ihre Solidarität.
Tá mé fíor bhuíoch daoibhse uilig. Ich bin mir bewußt, dass es eine andere Familie gibt, die betroffen ist. Das ist die Familie von Jean McConville. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich keinen wie auch immer gearteten Anteil an der Entführung, Tötung oder dem Verbergen der Leiche von Frau McConville habe. Ich habe gemeinsam mit anderen hart daran gearbeitet, dieses Unrecht wiedergutzumachen und ich werde mich weiterhin dafür einsetzen.
Ich denke auch daran, dass sich am 5. Mai 2014 der Todestag des Hungerstreikers, Martyrers und Abgeordneten Bobby Sands jährt, der in den H-Blocks (des nordirischen Gefängnisses Long Kesh) starb. Als ich in den letzten Tagen in meiner Zelle saß, dachte ich daran und an den schrecklichen Sommer von 1981. Natürlich ist es weder 1981 noch 1972. Die Menschen auf dieser Insel haben – mit wenigen Ausnahmen, neue Rahmenbedingungen geschaffen. Es gibt kein Zurück. Trotzdem ist es nötig, die Vergangenheit und insbesondere das Thema der Opfer und ihrer Familien zu bewältigen. Sinn Féin ist dazu bereit.
Bezüglich meiner Festnahme hege ich keinen Groll gegen irgendjemanden. Ich bin ein Aktivist – das ist mein Leben und philosophisch gesprochen verstehe ich, dass ich Kritiker und Gegner habe. Insbesondere sehe ich, dass es die gibt, die im Dunkeln gegen die Veränderungen arbeiten, die Sinn Féin und andere erreichen wollen. Ich kam nicht in der Erwartung einer bevorzugten Behandlung zur PSNI. Jedermann muss fair behandelt werden. Es muss sichtbar sein, dass sich die Zeiten geändert haben, dass man fair behandelt wird und dass wir alle Hoffnung und Zuversicht in die neuen Entwicklungen haben können, auch in die Polizei. Andere Signale ermutigen die Ewiggestrigen. Deshalb will ich hier zu meiner Verhaftung Stellung nehmen. Diejenigen, die meine Verhaftung und ihre Dauer angeordnet haben, hätten Dinge anders und besonnener handhaben können. Niemand hat sie gezwungen, die unsägliche (Antiterrorismus-)Sondergesetzgebung heranzuziehen, um ein Thema der Vergangenheit zu untersuchen – auch wenn es sich um ein so ernstes wie dieses handelt. Ich hatte zudem freiwillig meine Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt. Sie hätten auch nicht die Mitte des Wahlkampfs wählen müssen. Trotz allem unterstütze ich die Polizei. Ich werde weiterhin gemeinsam mit anderen an der Schaffung einer von Grund auf bürgernahen Polizei arbeiten.
Die alte Garde in der Führung der Polizei, in den Reihen des (pro-britischen, Anm. UG) Unionismus, an den Rändern des Republikanismus und in den dunklen Ecken des britischen Systems stemmt sich gegen Veränderungen. Es darf ihr nicht erlaubt werden, der Bevölkerung – egal ob Protestant, Katholik oder Atheist – eine Gesellschaft zu verwehren, die Bürger und ihre Rechte in den Mittelpunkt stellt, so wie es das Karfreitagsabkommen vorsieht. Ich bin ein irischer Republikaner. Ich möchte in einem friedlichen Irland leben, das auf Gleichheit beruht. Ich habe mich nie von der IRA distanziert und werde das auch nie tun. Ich bin aber froh, dass ich gemeinsam mit anderen einen friedlichen und demokratischen Weg in die Zukunft für alle geschaffen habe. Die IRA ist Geschichte.
Während meiner Verhöre legten die Vernehmungsbeamten großes Gewicht auf meine Zeit in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre, auf meine damalige Verhaftung und Inhaftierung in Palace Barracks und Long Kesh, sowie auf meine Teilnahme an den Friedensgesprächen von 1972. Zeitungsartikel, Fotographien von Martin McGuinness und mir auf republikanischen Beerdigungen, Bücher und andere offene Quellen werden als Grundlage für die Beschuldigungen verwendet, die gegen mich erhoben werden.
Viele Vernehmungen drehten sich um das sogenannte Belfast-Projekt von Paul Bew, einem Universitätsdozenten und früheren Berater des Unionisten-Chefs David Trimble, das von Ed Moloney und Anthony McIntyre als Teil des Boston College durchgeführt wurde. Beide, Moloney und McIntyre, sind Gegner von Sinn Féin und Gegner unserer Friedensstrategie. Sie haben ehemalige Republikaner interviewt, die mir und anderen in Sinn Féin feindlich gesinnt sind. Diese Leute haben uns des Verrats und des Ausverkaufs republikanischer Ideale bezichtigt und haben wegen unserer Unterstützung des Karfreitagsabkommens und der Polizei unseren Tod gefordert.
Die Beschuldigung, ich sei in die Tötung von Frau McConville verwickelt, basiert praktisch ausschließlich auf unbekannten, angeblich vom Boston College befragten Personen. Teilweise gibt es Aussagen von Dolours Price und Brendan Hughes. Andere anonyme angebliche Interviewpartner des Belfast-Projekts wurden nur durch einen Buchstaben des Alphabets gekennzeichnet, also Befragter R oder Y. Einen dieser Interview-Geber hält die Polizei für Ivor Bell, obwohl dieser das abstreitet, wie mir die Vernehmungsbeamten mitteilten. Ich habe alle Beschuldigungen, die gegen mich in den Boston-Tapes erhoben wurden, zurückgewiesen.
Zum Schluss möchte ich klar sagen: für unsere Gesellschaft gibt es nur den Weg nach vorn. Ja, wir müssen uns um die Vergangenheit kümmern. Ja, wir müssen uns um die Opfer kümmern. Aber der Fokus liegt auf unserer Zukunft. Daran arbeiten wir. Der Weg wird steinig sein, es wird Umwege und Hindernisse geben. Das wissen wir. Ich möchte allen für ihre Unterstützung danken. Ich möchte der Familie McConville und speziell all jenen, die durch Republikaner Leid erfahren mussten, meine Anteilnahme ausdrücken. Meine Entschlossenheit ist so groß wie eh und je: für den Frieden und gegen die Kräfte, die sich drohend gegen Gleichheit und Gerechtigkeit als Grundlage der Gesellschaft stellen.
Übersetzung: Uschi Grandel, 6. Mai 2014, Anmerkungen der Übersetzerin in Klammern
Foto: „Friedensstifter, Ideengeber und Visionär“ – Wandmalerei an der internationalen Wand in der Falls Road in West Belfast in Protest gegen die Inhaftierung von Gerry Adams.