United Nations Human Rights - Office of the High CommissionerR

Katalonien – Experte der Vereinten Nationen kritisiert spanische Regierung

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GENF (25. Oktober 2017) – Nach der Ankündigung der spanischen Regierung, die Autonomie Kataloniens auszusetzen, fordert der unabhängige Experte der UN für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Alfred de Zayas, die spanischen Behörden auf, mit den führenden Politikern der Region ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen. Am 19. Oktober hatte die spanische Regierung angekündet, die Region zentral zu verwalten. Eine Frist für die Beendigung der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen war bis dahin abgelaufen.

Stellungnahme  des UN-Experten Alfred de Zayas vom 25.10.2017:

„Ich bedauere die Entscheidung der spanischen Regierung, die Autonomie Kataloniens auszusetzen. Diese Maßnahme stellt einen Rückschritt im Schutz der Menschenrechte dar, der mit den Artikeln 1, 19, 25 und 27 des Internationalen Abkommens über Bürgerrechte und politische Rechte (ICCPR) unvereinbar ist. Gemäß den Artikeln 10 Absatz 2 und 96 der spanischen Verfassung stellen internationale Verträge Landesrecht dar und daher muss die Auslegung des spanischen Rechts mit den internationalen Verträgen übereinstimmen.

Einem Volk das Recht zu verweigern, seine Haltung zum Thema der Selbstbestimmung auszudrücken, die Rechtmäßigkeit eines Referendums zu leugnen, Gewalt anzuwenden, um ein Referendum zu verhindern, und eine begrenzte Autonomie eines Volkes als Bestrafung aufzuheben, stellt eine Verletzung des Artikels 1 des IPBPR und des Internationalen Abkommens über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte dar. Im Gegensatz dazu stellt der rechtzeitige Dialog über den Wunsch eines Volkes nach Selbstbestimmung eine wichtige Maßnahme zur Konfliktverhütung dar. Zahllose Kriege seit 1945 hatten ihren Ursprung in der Verweigerung der Selbstbestimmung. Dialog und politische Verhandlungen sollten gefördert werden, um der Gewalt vorzubeugen.

Die spanische Regierung scheint sich auf das Prinzip der territorialen Integrität zu berufen, um gewaltsame Versuche zu rechtfertigen, politischen Dissens und Selbstbestimmungsbestrebungen zum Schweigen zu bringen. Das Prinzip der territorialen Integrität, wie es in vielen Resolutionen der Vereinten Nationen, einschließlich der GA-Resolutionen 2625 und 3314, verstanden wird, soll nach außen angewendet werden, um ausländische Bedrohungen oder Eingriffe in die territoriale Integrität souveräner Staaten zu verhindern. Dieser Grundsatz kann nicht angewendet werden, um Menschen daran zu hindern, ihren Wunsch nach der Kontrolle der eigenen Zukunft zu äußern. Nach Artikel 1 der Internationalen Menschenrechtsabkommen ist dies allen Menschen garantiert. Das Selbstbestimmungsrecht ist ein Recht der Völker. Staaten haben nicht das Vorrecht, das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren oder abzulehnen. Im Falle eines Konflikts zwischen dem Prinzip der territorialen Integrität und dem Menschenrecht auf Selbstbestimmung ist es das letztere, das gewinnt.

Natürlich gibt es weltweit viele Menschen, die nach Selbstbestimmung streben, sei es in Form von Autonomie oder extern in Form von Unabhängigkeit. Die Verwirklichung der Selbstbestimmung ist kein Automatismus, aber sie ist ein grundlegendes Menschenrecht, dessen Umsetzung die internationale Gemeinschaft unterstützen sollte.

Das Völkerrecht auf Selbstbestimmung hat sich weit über die bloße Dekolonisierung hinaus entwickelt. Wendet man die 15 Kriterien meines Berichtes von 2014 (Absätze 63-77) an, ist es offensichtlich, dass kein Staat das Prinzip der territorialen Integrität nutzen kann, um das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern. Damit ist die Kritik an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des katalanischen Parlaments unerheblich. Diese Kritik hebt den ius cogens-Charakter der Selbstbestimmung nicht auf.

Die einzige demokratische Lösung für die derzeitige Sackgasse besteht darin, repressive Maßnahmen auszusetzen und ein Referendum zu organisieren, um die wahren Wünsche der betroffenen Bevölkerung zu ermitteln. Ein solches Referendum sollte von der EU, der OSZE und privaten Beobachtern einschließlich des Carter-Zentrums überwacht werden.“

ENDE

Herr Alfred de Zayas (Vereinigte Staaten von Amerika) wurde im Mai 2012 vom Menschenrechtsrat zum ersten unabhängigen Sachverständigen für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung ernannt. Er ist derzeit Professor für internationales Recht an der Genfer Schule für Diplomatie. Herr de Zayas praktizierte in New York und Florida Gesellschaftsrecht und Familienrecht. Als Mandatsträger des Menschenrechtsrats ist er unabhängig von Regierungen oder Organisationen und nur seinem Gewissen verpflichtet.

Die unabhängigen Sachverständigen sind Teil der so genannten Special Procedures des Menschenrechtsrates. Special Procedures ist das größte Gremium unabhängiger Sachverständiger im UN-Menschenrechtssystem. Es ist der generelle Name der unabhängigen Untersuchungs- und Überwachungsmechanismen des Rates für spezifische Situationen einzelner Länder oder weltweite Themen. Special Procedures Experten arbeiten ehrenamtlich; Sie sind nicht UN-Mitarbeiter und erhalten kein Gehalt für ihre Arbeit. Sie sind nicht von Regierungen oder Organisationen abhängig und nur ihrem Gewissen verpflichtet.


Original in englischer Sprache: United Nations Huma Rights – Office of the High commissioner >>

Übersetzung: Dr. Uschi Grandel, 30.10.2017