Sinn Féin spricht sich für Nein zum Fiskalpakt aus. 16 Prozent der Wahlberechtigten gelten noch als unentschlossen
Als einziges Land der Europäischen Union wird Irland morgen seine Bürger abstimmen lassen, ob Irland dem Fiskalpakt der EU beitreten wird. Der irische Ministerpräsident Enda Kenny wollte ein solches Referendum eigentlich verhindern. Erst das Votum seiner Generalstaatsanwältin und die Drohung des irischen Präsidenten Michael Higgins, den Verfassungsausschuß anzurufen, brachte den Taoiseach, wie Kennys Amtsbezeichnung auf irisch lautet, zur Einsicht. Das Lager der Befürworter des Fiskalpakts bilden die ehemalige Regierungspartei Fianna Fail und die derzeitige Regierungskoalition aus konservativer Fine Gael und irischer Labour-Partei. Gegner kommen zum überwiegenden Teil aus dem linken Spektrum. Neben der Socialist Party, die als kleine Partei mit zwei Sitzen im Dáil, dem irischen Parlament, vertreten ist und einen Abgeordneten ins Europaparlament entsendet, sind viele der nicht parteipolitisch gebundenen Abgeordneten des Dáils im sogenannten »No-Camp« angesiedelt. Etliche Gewerkschaften rufen ihre Mitglieder ebenfalls zu einem Nein auf. Die führende Kraft der Gegner ist die linke irisch-republikanische Partei Sinn Féin (Wir Selbst), die eine intensive Kampagne gegen den Fiskalpakt führt. Sinn Féin, die einzige gesamtirische Partei und stärkste Kraft in Nordirland, verfügt über vierzehn Abgeordnete im Dáil und über einen Sitz im Senat. Die Umfrage der Sunday Business Post vom letzten Wochenende zeigt einen Vorsprung der Befürworter von 49 Prozent im Vergleich zu 35 Prozent für die Gegner. Etwa 16 Prozent der Wähler sind noch unentschieden. In der irischen Arbeiterschaft liegen die Gegner vorn. Über 50 Prozent lehnen sowohl die bisherige Sparpolitik als auch den Fiskalpakt ab. Obwohl die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in Irland längst auch den Mittelstand und insbesondere das ländliche Irland lähmt, zeigt dort die Kampagne der Befürworter ihre Wirkung. Im Falle eines Neins stünde Irland außerhalb des Pakts und könne nicht länger mit der Solidarität der anderen EU-Länder rechnen, wenn es Geld benötige, lautet deren Botschaft. Nur ein Ja im Referendum werde Irland in Zukunft noch Zugriff auf Gelder des Europäischen Rettungsfonds geben, bestärkte Kenny in einer Ansprache am vergangenen Sonntag diese Angstbotschaft. Ein Ja für die Sparpolitik würde außerdem das Vertrauen internationaler Investoren wiederherstellen. Die Gegner des Fiskalpakts kritisieren, die irische Bevölkerung solle mit Horrorszenarien einer düstereren Zukunft zu einem Ja getrieben werden. Dabei verlassen bereits jetzt jährlich 70000 Menschen Irland, weil sie keine Arbeit finden. Diese erzwungene Emigration, die hohe Arbeitslosigkeit und die Not breiter Kreise der irischen Gesellschaft zeigen die dringende Notwendigkeit einer Abkehr von der neokonservativen Sparpolitik. Der Parteitag von Sinn Féin, der am letzten Wochenende in Killarney im Südwesten Irlands stattfand, gab den Gegnern noch einmal die dringend benötigte Aufmerksamkeit der Medien. Denn das Referendum und der Fiskalpakt standen neben dem strategischen Ziel eines Vereinigten Irland ganz oben auf der Agenda. Gerry Adams, Sinn-Féin-Präsident und Teachta (Abgeordneter) des Dáil, forderte in seiner Ansprache an den Parteitag, die vom Fernsehen live übertragen wurde, die irische Bevölkerung dazu auf, bei dem Referendum mit Nein zu stimmen: »Jeder sollte sich überlegen, ob die bisher praktizierte Sparpolitik Arbeitsplätze und Wachstum gebracht hat. Die Antwort ist ein klares Nein. Wer das auch so sieht, sollte am Donnerstag mit Nein stimmen. Die Sparmaßnahmen funktionieren heute nicht und sie werden auch nicht plötzlich ab dem 1. Juni wirken.« Während Sinn Féin im Norden Irlands um die Übertragung der Finanzhoheit von London nach Belfast kämpfe, übergebe die irische Regierung mit dem Fiskalpakt die Kontrolle an Frankfurt und Brüssel.
Foto: Sinn Féin Plakat wirbt für ein NEIN im Referendum: „Der Sparpakt funktioniert nicht“
Erstveröffentlichung: Junge Welt, 30.5.2012 weiterlesen >>
Siehe auch das Video der Rede von Gerry Adams auf dem Sinn Féin Parteitag (in englischer Sprache):