Ballymurphy, August 2010

Ein zweiter Bloody Sunday

Veröffentlicht von
Ballymurphy, August  2012
Meine Mutter wurde von britischen Paratroopern 1971 in Ballymurphy ermordet.

Nordirische Staatsanwaltschaft ordnet neue Untersuchung der Todesumstände von elf Zivilisten in Belfast 1971 (Junge Welt vom 17.11.2011) 

Nur wenige Monate vor einem Massaker an 14 unbewaffneten Zivilisten in der nordirischen Stadt Derry im Januar 1972, das als Bloody Sunday weltweit bekannt wurde, tötete dasselbe britische Fallschirmjägerregiment im Belfaster Stadtviertel Ballymurphy elf Menschen. In beiden Fällen machte ein schneller erster Untersuchungsbericht aus den Tötungen die »legitime Abwehr von Terroristen«.

38 Jahre sollte es dauern, bis die Familien der Bloody Sunday Opfer im Juni 2010 den Durchbruch schafften. Der Abschlussbericht zur Untersuchung von Bloody Sunday bestätigte, dass die britische Armee ein Massaker unter unbewaffneten Menschen angerichtet hatte. Der britische Premierminister David Cameron entschuldigte sich in einer Rede vor dem britischen Unterhaus, machte aber klar, dass er in Bloody Sunday ein einmaliges bedauernswertes Fehlverhalten von Soldaten sehe.

Die Familien der Opfer des Ballymurphy Massakers haben nun neue Beweise dafür, dass die Version der britischen Armee auch in ihrem Fall nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Über Jahre hinweg hatten sie Augenzeugenberichte gesammelt und rekonstruiert, wie die 11 Zivilisten im August 1971 ums Leben kamen: Scharfschützen der britischen Armee schossen aus einer Kaserne heraus auf alles, was sich bewegte, auf einen Anwohner, der Kinder in Sicherheit bringen wollte, den Pfarrer, der ihm zu Hilfe eilte. Eine achtfache Mutter wurde gemeinsam mit einem jungen Mann erschossen, dem sie helfen wollte. Weitere Anwohner, die zu Hilfe eilten, wurden angeschossen, verhaftet, misshandelt und ebenfalls ermordet. Am 9. August 1971 hatte die britische Regierung ihre Politik der Internierungen in Nordirland eingeführt und begonnen, nach Geheimdienstlisten Hunderte irischer Aktivisten zu verhaften. Drei Tage später hatte das britische Fallschirmjägerregiment in Ballymurphy elf Menschen getötet.

Mit Hilfe der Familien der Bloody Sunday Opfer analysierte die Ballymurphy Kampagne die Aussagen der Soldaten des betreffenden Regiments vor dem Bloody Sunday Untersuchungsrichter. Einige Soldaten gingen dabei auch auf die Vorfälle in Ballymurphy ein. Ihre Aussagen widersprechen der offiziellen Version der britischen Armee.

Die nordirische Staatsanwaltschaft ordnete am Montag deshalb eine neue Untersuchung an. Andrée Murphy, Sprecherin der Belfaster Menschenrechtsorganisation Relatives for Justice, die seit Jahren die Familien unterstützt, begrüßt die Entwicklung. Es sei höchste Zeit, dass die Justiz die erbärmlichen Fehler der ersten Untersuchung berichtige. Für die Familien sei die neue Untersuchung „ein Meilenstein auf dem Weg zu einer unabhängigen, internationalen Untersuchung der Ereignisse“. Die britische Regierung müsse die horrenden Verbrechen zugeben. Es könnte leicht sein, dass sich David Cameron bald zum zweiten Mal für ein Massaker seiner Armee in Nordirland entschuldigen muss.


Erstveröffentlichung: Junge Welt vom 17.11.2011: weiterlesen >>

Foto (Uschi Grandel, Ballymurphy, August 2010): die Familien der Opfer des Ballymurphy Massakers fordern Gerechtigkeit.

Webseite der Kampagne der Angehörigen: Das Ballymurphy Massaker weiterlesen >>