Parlamentswahlen in Irland
Von Uschi Grandel (junge Welt vom 10.2.2020)
Zwar war die Auszählung der Stimmen wegen des komplexen irischen Wahlsystems bis jW-Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen. Aber der Sieger der Wahl vom Sonnabend stand bereits fest: Die Linkspartei Sinn Féin (SF, »Wir selbst«) ist nun die dritte große Kraft im Land. Die Vorherrschaft der beiden großen konservativen Parteien in der Republik Irland, dem politischen »Süden« der Insel, ist damit durchbrochen. Dabei hatten rechte Medien im Vorfeld der Wahl versucht, dies durch eine Schlammschlacht zu verhindern. Als sich in den Umfragen bereits ein Erfolg von SF abzeichnete, bestand der staatliche Fernsehsender RTÉ trotzdem auf einem exklusiven Fernsehduell der Parteichefs von Fine Gael und Fianna Fáil. Erst die Empörung in der Bevölkerung verhalf der Präsidentin von Sinn Féin, Mary Lou McDonald, zur Teilnahme an der Sendung. Im Wahlkreis Dublin Central erreichte sie mit 36,65 Prozent der Stimmen ein Spitzenergebnis.
Historisch ist der Sieg jedoch nicht nur deshalb, weil eine linke Partei ein gutes Ergebnis erzielt hat. Historisch ist das Ergebnis, weil mit Sinn Féin nun eine Kraft stark geworden ist, die sich dem irischen Freiheitskampf verpflichtet fühlt und die in ihrer langfristigen Strategie nicht nur ein vereinigtes Irland anstrebt, sondern eine neue Gesellschaft, eine irische Republik, die »Menschen und nicht Wirtschaftsinteressen« in den Mittelpunkt stellt, wie es McDonald in ihrer Neujahrsansprache formuliert hatte.
Das neue Gewicht der gesamtirischen Partei im Süden hat das Potential, Irland zu verändern. Denn Sinn Féin sieht das Parlament und auch eine Regierungsbeteiligung nicht als das, sondern nur als ein Mittel, Veränderung zu bewirken. Die Partei ist bekannt für ihre Kampagnenfähigkeit und kämpft im Bündnis mit anderen linken Kräften und Gewerkschaften auf der Straße für Menschen- und Bürgerrechte. Massenproteste der letzten Jahre erzwangen im Süden einige Gesetzesänderungen. Beispiele sind das Recht auf Abtreibung, Gleichberechtigung der LGBT-Community oder auch die Verhinderung der Privatisierung der Wasserversorgung.
In Umfragen nach der Wahl gaben viele die Lösung sozialer Fragen, vor allem der Wohnungsnot und des kaputtgesparten Gesundheitssystems, als wichtigste Themen an. SF hatte bereits in der Opposition ein alternatives Regierungsprogramm entwickelt, das unter anderem ein durchgerechnetes staatliches Wohnungsbauprogramm enthält – gegensätzlich zur neoliberalen Politik der beiden Kontrahenten.
Geholfen hat SF auch der unsägliche Versuch der Geschichtsklitterei durch die Regierungspartei Fine Gael. Diese hatte geplant, ausgerechnet die Milizen ehren zu wollen, die einst die britische Herrschaft durch Unterdrückung und Terror aufrechterhalten hatten. »Reclaim our history« (»Erobern wir unsere Geschichte zurück!«) ist eine Kampagne, die zum 100. Jahrestag des Osteraufstands 2016 begann und noch nicht abgeschlossen ist. Sie könnte zur Kampfansage an das etablierte System werden.
Erstveröffentlichung: junge Welt vom 10.2.2020