Nach der Rede der palästinensischen Botschfterin auf dem Sinn Féin Parteitag 2023

Nicht in unserem Namen

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Irland: Parteitag von Sinn Féin setzt Solidarität mit Palästinensern ganz oben auf die Tagesordnung und verurteilt einseitige Unterstützung für Israel  

»Ursula von der Leyen spricht nicht für die irische Bevölkerung«, erklärte Sinn Féins außenpolitischer Sprecher Matt Carthy unter starkem Beifall auf dem jährlichen Parteitag der irischen Linkspartei, der vom 10.-11. November 2023 im irischen Athlone stattfand. Für Empörung hatten zuvor die Reise von Ursula von der Leyen nach Tel Aviv am 13. Oktober und die einseitige Unterstützung Israels durch die Präsidentin der Europäischen Kommission gesorgt. Der Erhalt einer eigenständigen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist für die Partei erklärtes Ziel. Nur so könne Irland – das kein Mitglied der NATO ist und dessen Bevölkerung eine solche Mitgliedschaft mit großer Mehrheit ablehnt – weiterhin eine positive Rolle in der Welt spielen und Friedensprozesse und Konfliktlösung unterstützen, sagte Carthy.

Mit tosendem Applaus empfingen die Delegierten die palästinensische Botschafterin in Irland, Dr. Jilan Wahba Abdalmajid. Die irische Linkspartei hatte der Botschafterin Redezeit während der Keynote-Stunde eingeräumt. Ihre Rede wurde damit live vom irischen Fernsehen übertragen. Als „Hölle auf Erden“, bezeichnete Dr. Abdalmajid die Situation in Gaza. Ein Eilantrag der Parteiführung verurteilte „die entsetzlichen Angriffe der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober“ und „die Aktionen Israels in Gaza, die durch die grausame Militäroffensive gegen eine Zivilbevölkerung eine kollektive Bestrafung“ darstellten. Zivilisten zum Ziel militärischer Angriffe zu machen, zivile Infrastruktur zu zerstören, die massenhafte Vertreibung der Bevölkerung und das Abschalten lebenswichtiger Güter wie Wasser, Nahrungsmittel, Medizin und Treibstoff breche internationales Recht. Die irische Regierung solle „alle verfügbaren diplomatischen, rechtlichen und politischen Kanäle nutzen“, um einen sofortigen Waffenstillstand durchzusetzen. Der Antrag wurde durch viele Redebeiträge unterstützt und mit überwältigender Mehrheit vom Parteitag angenommen. Sich selbst verpflichtete die Partei zu verstärkten Anstrengungen, die Lösung des Konflikts in Zusammenarbeit mit der UN, der Arabischen Liga und anderen internationalen Partnern voranzubringen. 

Das Motto des Parteitags „Am don Athrú – Time for Change“ reflektiert die Stärke der Linkspartei in beiden Teilen Irlands. In Nordirland hatte Sinn Féin die Wahlen zum Regionalparlament im Mai 2022 mit 29% gewonnen und damit die Democratic Unionist Partei (DUP, 21%) als führende Partei abgelöst. Gemäß dem Friedensabkommen von 1998 wird die nordirische Regionalregierung als Allparteienregierung gebildet. Die stärkste Partei führt die Regierung. Die Vizepräsidentin von Sinn Féin, Michelle O’Neill, ist als Wahlgewinnerin damit designierte nordirische Regierungschefin. Die pro-britische DUP verweigert sich seit mehr als einem Jahr der Regierungsbildung und hat damit eine bis heute andauernde Regierungskrise ausgelöst.

In der Republik Irland wurde Sinn Féin bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020 stärkste Partei. Die einst großen konservativen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael haben nicht einmal mehr gemeinsam eine Mehrheit, sondern benötigen zusätzlich die Grünen in ihrer Regierung. Umfragen zufolge hat Sinn Féin als größte   Oppositionspartei ihre Stärke weiter ausgebaut und könnte nach der nächsten Wahl eine Koalitionsregierung anführen.

Sie plant, die prekären Verhältnisse in vielen Lebensbereichen, unter denen ein großer Teil der Bevölkerung Irlands leidet, anzugehen. Ganz oben auf der Liste steht die Wohnungsnot. Daher hat Sinn Féin in einem alternativen Budgetplan für 2024 konkrete Schritte vorgestellt, das Problem mit hoher Priorität anzugehen.

Nicht zuletzt reflektiert „Time for Change“ das große nationale Projekt der Vereinigung Irlands, das durch den Brexit deutlich an Fahrt gewonnen hat. Die Partei ist dabei die treibende Kraft und organisiert die aktive Beteiligung der Bevölkerung an der Planung und Vorbereitung.   


Von Uschi Grandel (vom Parteitag in Athlone, Irland)

Erstveröffentlichung: junge Welt vom 14.11.2023

Foto (c) Peadar Whelan, 11.11.2023, Athlone, Sinn Féin Ard Fheis (Parteitag): nach der Rede der palästinensischen Botschafterin in Irland, Dr. Jilan Wahba Abdalmajid (links), Sinn Féin Präsidentin Mary Lou McDonald (rechts)