Sinn Féin intensiviert Kampagne für eine Vereinigung Irlands und erhöht den Druck.
Nach einem Diskussionspapier zur Vereinigung Irlands legt die gesamtirische Linkspartei Ende letzter Woche ein Strategiepapier vor, das für Nordirland einen Sonderstatus innerhalb der Europäischen Union fordert. Die im nordirischen Friedensabkommen von 1998 verankerten Rechte auf „politische Institutionen, Menschenrechte, … Selbstbestimmung … müssen geschützt werden“ und die Vereinigung Irlands dürfe weiterhin wie im Abkommen festgelegt, nur von der Zustimmung der Bevölkerung beider irischer Staaten abhängen. Auch die EU-Gesetze zum Arbeitsschutz, zu Arbeiterrechten, zu sozialen Standards und zum Umweltschutz müssten in Nordirland Gültigkeit behalten. Angesichts des massiven Sozialabbaus der letzten Jahre durch die britische Regierung schrillen die Alarmglocken für eine Nach-Brexit Ära.
Kampf gegen die „Politik des ökonomischen und sozialen Desasters“ der EU
Gleichzeitig forciert Sinn Féin den Kampf gegen die Sozialabbau-Politik der EU. Anfang Dezember lud Matt Carthy, Mitverfasser des Strategiepapiers und einer der vier Europa-Abgeordneten seiner Partei, gemeinsam mit der GUE/NGL-Fraktion des Europa-Parlaments zu einer Anti-Austeritäts-Konferenz. Unter der Überschrift „Wirtschaftspolitik in der Peripherie der EU: von der Austeritätspolitik zu nachhaltigem Wachstum“ diskutierten führende Wirtschaftswissenschaftler Wege weg von der „Politik des ökonomischen und sozialen Desasters“. Es sei notwendig, die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die ein Redner als „Trumponomics“ bezeichnete, zu stoppen, nicht zuletzt, weil sich daraus eine Krise der Demokratie zu entwickeln drohe.
Deutsche Position „inakzeptabel“
Ein Beispiel für die Brutalität und Unvernunft der Austeritätspolitik gab der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung der EU Anfang Dezember. „Die deutsche Position (zur Verschuldung Griechenlands) ignoriert die Realität, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden können“, erklärte Carthy, der für die GUE/NGL-Fraktion im Ausschuss sitzt. Die deutsche Haltung nannte er „inakzeptabel“ und kritisierte: „Der Grund für diese Haltung ist einzig und allein … die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Die Situation ist absurd. Das dritte Paket von 86 Milliarden Euro geht praktisch komplett an EZB und IWF, während Griechenlands Schulden steigen“. Zudem verletzten die Forderungen nach einer weiteren Einschränkung von Gewerkschaftsrechten die EU Grundrechts-Charta.
Altes Unrecht
So brisant die sozialen Fragen sind, der zentrale Punkt für eine der intensivsten Sinn Féin – Kampagnen der letzten Jahre ist die politische Weichenstellung: Soll Nordirland im Schlepptau Großbritanniens aus der Europäischen Union gezwungen werden? Könnte deshalb die Außengrenze der EU in absehbarer Zeit mitten durch Irland gehen? Die Teilung Irlands war den Iren vor 95 Jahren von Großbritannien diktiert worden. Das Karfreitagsabkommen von 1998, das den blutigen Nordirlandkonflikt beendete, hat die innerirische Grenze nicht aufgehoben, aber fast unsichtbar gemacht. Es hat außerdem die Verantwortung für konstitutionelle Änderungen in die Hände der Bevölkerung beider irischer Staaten gelegt. Eine einfache Mehrheit in einem Referendum im Süden und im Norden ist für die Wiedervereinigung Irlands ausreichend. Im Brexit-Referendum hatten die Nordiren mit 56% für einen Verbleib in der EU gestimmt. Viele Iren sind empört, dass das rechte Brexit-Lager, das das Referendum über den Austritt aus der EU mit Hilfe falscher Versprechungen und einer ausländerfeindlichen Kampagne gewonnen hatte, Nordirland nun zum zweiten Mal seinen Willen gegen das Votum der Bevölkerung aufzwingen wolle.
Eine neue Republik
Das Ziel von Sinn Féin ist nicht der Anschluss Nordirlands an die Republik Irland, sondern eine neue gesamtirische Republik, für deren Gründung Änderungen in beiden irischen Staaten nötig sind. Der nächste Schritt ist deshalb die Initiierung einer breiten Diskussion aller gesellschaftlichen Gruppen darüber, wie ein neues Irland aussehen soll. Aus einem solchen demokratischen Dialog kann dann eine Roadmap für die Vereinigung Irlands entstehen. Die Forderung nach einem Sonderstatus für Nordirland soll es dem Land erlauben, unterdessen trotz Brexit und gemeinsam mit der Republik Irland in der EU zu bleiben.