„Ein neuer Anfang“

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Eine Verschärfung der Regierungskrise in Nordirland wurde durch ein Abkommen beendet, aber noch sind viele kritische Themen nicht abgeschlossen.

„Ein neuer Anfang – das Stormont-Abkommen und sein Implementierungsplan“ ist die Überschrift des 68-seitigen Abkommens, auf das sich die fünf im nordirischen Regionalparlament vertretenen Parteien gemeinsam mit der britischen und der irischen Regierung am 17. November 2015 geeinigt haben. Der Name Stormont bezeichnet das nordirische Parlamentsgebäude, das im östlichen Belfaster Außenbezirk „Stormont“ angesiedelt ist. Die fünf nordirischen Parteien sind die Democratic Unionist Party (DUP, pro-britische Unionisten, 30%), Sinn Féin (SF, irische Republikaner, 26.9%), die Social Democratic Labour Party (SDLP, irische Konstitutionalisten, 14.2%), die Ulster Unionist Party (UUP, pro-britische Unionisten, 13.2%), sowie die kleinere Allianz Party (AP, bürgerlich liberale Unionisten, 5.2%). Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Ergebnisse der letzten nordirischen Regionalwahlen im Jahr 2011.

Nach zehn Verhandlungswochen haben die Parteien mit dem Abkommen vorerst eine Krise beendet, die bereits mehrere Jahre andauert und die dabei war, den nordirischen Friedensprozess ernsthaft in Gefahr zu bringen. Mehrere kritische Faktoren hatten sich überlagert.

Vollständige Umsetzung des Friedensabkommens von 1998

Zum einen geht es immer noch um die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens von 1998, auch Karfreitagsabkommen oder Good Friday Agreement genannt. Mit diesem zentralen Friedensabkommen wurde der bewaffnete Nordirlandkonflikt beigelegt und ein Fahrplan zur Demokratisierung Nordirlands entwickelt. Mit einem demokratischen Nordirland ist die Vorherrschaft der pro-britischen alten Eliten nicht länger vereinbar und so ist im Abkommen festgelegt, Strukturen ihrer früheren Dominanz und deren Symbole zu entfernen. Maßnahmen sind z.B. die Schaffung neutraler öffentlicher Räume ohne pro-britische Dominanz, die Gleichberechtigung der irischen Sprache oder die Gleichwertigkeit aller verschiedenen Identitäten und Nationalitäten, die in Nordirland leben. Bei den drei unionistischen, pro-britischen Parteien, der DUP, die mit Peter Robinson den First Minister stellt, der ehemals führenden UUP und der kleinen Traditional Unionist Voice (TUV) am rechten Rand ist jedoch die Haltung zu diesen Themen bestimmt durch den Machtkampf um die Oberhoheit im pro-britischen Lager.

So haben DUP und UUP Anfang 2014 die Zustimmung zu einem Kompromiss verweigert und damit die von Richard Haas und Meghan O’Sullivan moderierten mehrmonatigen Verhandlungen Ende 2013 ohne Ergebnis beendet. Ziel war damals ein gemeinsames Vorgehen aller großen Parteien im Umgang mit den schwierigen Streitthemen Paraden und Märsche, Fahnen und Symbole, sowie mit der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Der Streit um Kürzungen im Sozialbereich

Diese schwierigen Themen der Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts wurden von der aktuellen Auseinandersetzung um die Austeritätspolitik der britischen Regierung überlagert, deren Finanzminister George Osborne allen Teilen des United Kingdom ein Sparprogramm verordnet hatte, das tiefe Einschnitte im Sozialbereich vorsieht. Gegen dieses Programm „der Millionäre aus London“ wehrt sich vor allem die irisch-republikanische Partei Sinn Féin, die als zweitstärkste Partei mit Martin McGuinness den stellvertretenden First Minister stellt. Mehrere Jahre hat sich die linke Partei geweigert, ihre Zustimmung zur Umsetzung der Vorgaben aus London zu geben und hat stattdessen eine Kampagne „Stop Tory Cuts (Stoppt die Kürzungen durch die britische Tory-Regierung)“ geführt. Zwar ist die Wählerbasis der DUP ebenfalls massiv von den Kürzungen im Sozialbereich betroffen, die DUP steht aber aus ideologischen Gründen fest an der Seite der britischen konservativen Regierung.

Das Abkommen sieht nun vor, dass die britische Regierung ihre Kürzungspolitik nicht durch das nordirische Regionalparlament umsetzen lässt, sondern hierfür selbst verantwortlich ist. Die britische Regierung musste jedoch einem Budget von mehr als 500 Millionen £ zustimmen, mit dem die schlimmsten Härten vermieden werden sollen. Als Verantwortliche für die Verteilung dieses Budgets wurde auf Vorschlag von Sinn Féin die emeritierte nordirische Professorin Eileen Evason berufen, die als ausgewiesene Sozialexpertin gilt.

Britische Regierung verweigert Aufarbeitung der Vergangenheit

Die britische Regierung hatte in einem früheren Abkommen den Familien der Opfer des Konflikts Aufklärung zugesagt. In diesen Verhandlungen erklärte sie jedoch, sie könne Aufarbeitung nur dann leisten, wenn keine nationalen Sicherheitsinteressen betroffen seien. Diese Hintertüre war eine schwerer Schlag für die Familien, deren Angehörige durch Aktionen der Polizei, der britischen Armee, der Geheimdienste oder der Zusammenarbeit dieser Kräfte mit pro-britischen Todesschwadronen ums Leben kamen. Seit Jahrzehnten kämpfen Familien, wie die Angehörigen des Menschenrechtsanwalts Pat Finucane, die Angehörigen der Massaker in Ballymurphy, Gurks Bar und andere um Aufklärung. Man geht davon aus, dass die politische Verantwortung für viele dieser Morde in die oberen Etagen der jeweiligen britischen Regierungen reicht.

Dass Aufklärung dieser zum Teil in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreichenden Fälle die aktuelle Sicherheitslage Großbritanniens gefährde, klingt nicht besonders glaubwürdig. Aufklärung dieser Fälle würde jedoch der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zeigen, dass viele der Methoden, mit denen die britische Regierung in Nordirland Krieg geführt hat, terroristischer Natur waren. Staatsterrorismus in hunderten von Fällen, systematisch, mit Wissen und auf Anordnung der Regierung, das ist die Aufklärung, die die britische Regierung verhindern will. Ohne vollständige Offenlegung aller Informationen bliebe die Aufarbeitung eine Farce. Sinn Féin hat deshalb nach Rücksprache mit den Familien dieses Ansinnen der britischen Regierung abgelehnt. Das Thema wird damit im vorliegenden Abkommen nicht behandelt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt erneut verhandelt.

Paramilitärische Aktivitäten

Die Berichterstattung vor Beginn dieser aktuellen Verhandlungsrunde war geprägt von Krisenszenarien. Anlass waren zwei Morde in dem kleinen irischen Belfaster Stadtviertel Short Strand und die Behauptung britischer Geheimdienstkreise, dies belege aktuelle Aktivitäten der IRA, die im Verlauf der Umsetzung des Friedensabkommens 2005 ihre Waffen vernichtet hat und seither von der Bildfläche verschwunden ist. Tatsächlich findet sich im Abkommen ein sehr allgemein gehaltenes Kapitel zum Thema Paramilitarismus und seiner Bekämpfung. Dies zeigt, dass der Medienrummel um die IRA und die behauptete Einflußnahme auf Sinn Féin im Vorfeld der Verhandlungen mehr dazu gedacht war, die Verhandlungsposition von Sinn Féin zu schwächen. Von den tatsächlich noch existenten und aktiven loyalistischen paramilitärischen Gruppen, die nach wie vor anti-irische und auch fremdenfeindliche Anschläge verüben, war sowieso nie die Rede.

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Download des Abkommens als PDF (in englischer Sprache)

Kommentar von Sinn Féin zum Abkommen als PDF (in englischer Sprache)


Foto: Deckblatt des Stormont-Abkommens vom 17.5.2015