Ein guter Schritt in eine richtige Richtung!

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Der Europäische Gerichtshof entscheidet gegen die britische Regierung: es geht um die Beteiligung britischer „Sicherheitskräfte“ an Anschlägen auf Zivilisten (Urteile s.u.). Unser Kommentar:

Anfang des Jahres hatte der Untersuchungsbericht des nordirischen Polizeiombudsman international Aufsehen erregt. Die Chefin der Behörde Nuala O’Loan berichtet über die Verstrickung der nordirischen Polizei in 19 Morde allein in einem kleinen Bezirk im Norden Belfasts :

„Über Jahre hinweg, fand Nuala O‘Loan heraus, hatte die Geheimdienst-Abteilung der (nordirischen Polizei) Royal Ulster Constabulary Mordverbände … aus den Reihen der Loyalisten unterstützt, gedeckt, mit Informationen über ihre Opfer versorgt. … In den betreffenden Fällen, heisst es in O‘Loans Untersuchungsbericht weiter, hätten Geheimdienst-Beamte der RUC die Täter – in der Regel ihnen wohl bekannte Informanten aus dem loyalistischen Lager – gedeckt, ihnen Alibis verschafft, sie zu Verhören begleitet, Verfahren gegen sie verhindert, Beweismaterial vernichtet, Dokumente gefälscht und Hausdurchsuchungen gestoppt. … teilweise sogar mit Unterstützung leitender RUC-Offiziere. … Einige der in die Kollaboration mit Terroristen verwickelten Beamten seien noch immer im Polizeidienst beschäftigt.“

So fasst Peter Nonnenmacher am 24.1.2007 für den Tagesanzeiger die Ergebnisse der Untersuchung zusammen (s. Info Nordirland ). Nun hat der Europäische Gerichtshof am 27.11.2007 den Finger in eine weit grössere Wunde gelegt: in den Regionen Mid-Ulster und South Armagh ging die Zusammenarbeit britischer staatlicher Stellen mit pro-britischen, loyalistischen Todesschwadronen weit über Informationen und Verhinderung von Strafverfolgung hinaus. Mindestens 120 Morde wurden von gemischten Teams begangen, denen loyalistische Paramilitärs, britische Soldaten und Geheimagenten, sowie nordirische Polizisten angehörten. Ein ehemaliger Polizist, John Weir, hatte Ende der 90er Jahre ausgepackt und viele Details dieser Zusammenarbeit berichtet. Im Verfahren, das die Familien von acht Opfern dieser Mördergang gegen die Britische Regierung angestrengt hatten, entschied der Europäische Gerichtshof gegen die britische Regierung. Der Gerichtshof stellte fest:

„Im Jahre 1999 gab die (nordirische Polizei) RUC vor, die Behauptungen von John Weir polizeilich zu untersuchen. Die RUC unternahm jedoch keine Schritte, um John Weir zu befragen. Trotz der glaubwürdigen und belegbaren Beweise, dass es in Mid-Ulster zu weitreichender Zusammenarbeit von Mitgliedern der (britischen Armeeeinheit) UDR und der (nordirischen Polizei) RUC mit einer in Mid-Ulster operierenden loyalistischen Mördergang gekommen sei, beendete die RUC ihre Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass die Anschuldigungen falsch seien. … der Gerichtshof stellt zum einen fest, dass die Vorwürfe von Weir sehr ernst sind. Es geht um die Beteiligung von Sicherheitskräften an systematischen Anschlägen auf unschuldige Zivilisten. Zum zweiten sind die Vorwürfe, prima facie, plausibel, weil sie von einer Quelle kommen, die in solche Vorfälle involviert war und deren Aussagen sehr detailliert und konkret waren …“

Alan Brecknell, einer der betroffenen Familien, der seinen Vater durch einen solchen Mordanschlag verlor, sagte auf einer Pressekonferenz des nordirischen Menschenrechtszentrums Pat Finucane Centre:

„Mindestens 120 Personen starben als Folge der Aktivitäten dieser Gruppe. Die Toten waren irische und britische Staatsbürger (wie zum Beispiel mein Vater, der aus Birmingham stammt). Sie waren Katholiken und Protestanten von diesseits und jenseits der Grenze … Auf dieser Pressekonferenz sind Angehörige anwesend, die die offizielle Bestätigung haben, dass Polizeioffiziere, Soldaten und Geheimdienstleute die Hauptverdächtigen der Anschläge (auf ihre Familienangehörigen) sind.“

Hochbrisant sind diese Enthüllungen im angeblich demokratischsten Land Europas. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein guter Schritt in eine richtige Richtung. Wenn wir Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa ernst nehmen, muss die Aufarbeitung solcher Verbrechen passieren und sie muss öffentlich passieren. Glaubt ansonsten denn irgend jemand ernsthaft, dass damals beteiligte Militärs und „Sicherheitsexperten“, die sich bisher weigern, diese Verbrechen aufzuarbeiten, sich in den aktuellen Konflikten heutzutage anders verhalten? Puzzlestück um Puzzlestück setzt sich in Nordirland ein Bild zusammen, dessen Fäden in 10 Downing Street zusammenlaufen, am Sitz der britischen Regierung, deren Vorgänger diese kriminellen Machenschaften in den 70er und 80er Jahren als Mittel ihrer Nordirlandpolitik einsetzten. Erkennen wir Muster in den spärlichen Berichten, die uns aus dem Irak und aus Afghanistan erreichen?

 


Peter Nonnenmacher: Bericht über Polizei sorgt für Empörung, Tagesspiegel, 24.1.2007 >>

Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:

>>>> Press release issued by the ECHR: FIVE CHAMBER JUDGMENTS CONCERNING NORTHERN IRELAND

>>>> CASE OF REAVEY v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)

>>>> CASE OF BRECKNELL v. THE UNITED KINGDOM (160 kb)

>>> CASE OF O’DOWD v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)

>>> CASE OF MCCARTNEY v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)

>>>> CASE OF MCGRATH v. THE UNITED KINGDOM (90 kb)