Gerry Adams, Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, zum 10. Jahrestag des Abkommens (in deutscher Übersetzung von Uschi Grandel):
„Der Kern des Karfreitagsabkommens ist der politische, soziale, wirtschaftliche und konstitutionelle Wandel. Es geht um die Schaffung einer gleichberechtigten Gesellschaft.“ (Gerry Adams)
Blickt man aus heutiger Sicht zurück, ist es manchmal schwer zu glauben, dass seit jenen bedeutenden Tagen im April 1998 wirklich zehn Jahre vergangen sein sollen. Das Karfreitagsabkommen markiert eine historische und bedeutende Wegscheide für die Geschichte und die Entwicklung dieser Insel.
Diesen Punkt zu erreichen, war mit enormen Schwierigkeiten verbunden, nicht zuletzt wegen der Weigerung der beiden Regierungen und der anderen Parteien, sich frühzeitig an einem Dialog zu beteiligen. Statt dessen beharrten einige Kreise auf einer unhaltbaren Sicherheitsagenda.
Der Fortschritt danach war langsam und quälend
Und trotzdem hatte (der Moderator der Friedensverhandlungen, der amerikanische Senator) George Mitchell völlig recht, als er sagte, das Zustandekommen des Abkommens war der leichtere Teil, die Umsetzung sei ein ganz anderes Thema. Wie recht er hatte. Der Fortschritt nach der Unterzeichnung des Abkommens war langsam und quälend. Aber wir haben Fortschritte gemacht.
Das Karfreitagsabkommen ist einzigartig. Das Ausmass und die Art der Schwierigkeiten, die es lösen sollte, wird aus dem Massnahmenkatalog ersichtlich, den es abdeckt: konstitutionelle Fragen, politische Themen, institutionelle Festlegungen, Menschenrechte, Gleichheit, Organisation der Polizei und Justiz, sprachliche und kulturelle Themen.
Als Konsequenz unterscheidet es sich in vieler Hinsicht von früheren Versuchen, ein Abkommen zu erreichen, vor allem durch seine Inklusivität (das Einbeziehen und Miteinander der unterschiedlichen Standpunkte). Gleichzeitig sicherte es signifikant mehr Fortschritt als je zuvor in den Bereichen Polizei und Justiz, Gleichheit und Menschenrechte, der irischen Sprache, sowie konstitutionellen und politischen Themen und Massnahmen zur Beendigung der Diskriminierung und des religiös instrumentalisierten Rassismus.
Kern des Karfreitagsabkommens
Der Kern des Karfreitagsabkommens ist der politische, soziale, wirtschaftliche und konstitutionelle Wandel. Es geht um die Schaffung einer gleichberechtigten Gesellschaft. Vorsichtige, gemeinsame Versuche des (irisch-)nationalistischen und republikanischen Irlands haben als Ergebnis einen Friedensprozess ins Leben gerufen. Initiiert wurden diese Bemühungen von Sinn Féin. Das Ziel dieses Friedensprozesses war eine politische Übereinkunft, die es ermöglichen sollte, Jahrzehnte der Gewalt zu beenden. Hierfür wurden die Wurzeln des Konflikts adressiert. Alle am Abkommen beteiligten Parteien sollten in der Lage sein, ihre jeweiligen politischen Ziele mit friedlichen und demokratischen Mitteln zu verfolgen, ohne Diskriminierung oder Repression fürchten zu müssen.
Das war eine grosse Herausforderung an alle, nicht zuletzt auch an (uns) irische Republikaner. Während wir Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre unsere Friedensstrategie entwickelten, begannen wir zu verstehen, dass wir mit signifikanten, politischen Initiativen zur Bildung eines politischen Klimas beitragen mussten, in dem Fortschritt möglich sein würde.
Der heftige Widerstand gegen das Karfreitagsabkommen aus den Reihen des Unionismus und des britischen Systems resultierte aus genau dieser Einschätzung des Abkommens als machtvolles Instrument des Wandels. Seine Gegner fürchteten, dass Gleichberechtigung und das Festschreiben der Rechte und Ansprüche der Menschen den eigentlichen Grund für die Existenz der Union mit Grossbritannien aushöhlen werde.
Republikaner, Unionisten, britische und irische Regierung
hatten ihren Anteil an diesem Krieg
Die Geburt des nordirischen Staates ist wohlbekannt. Die religiös-rassistischen und politischen Gräben, die vor der Teilung (Irlands) existierten, wurden nach der Teilung von der unionistischen Regierung in Stormont noch tiefer zementiert. Dies führte zu Jahrzehnten der institutionalisierten Gewalt und Diskriminierung gegen die (irisch) nationalistische Community (in Nordirland). Zehntausende wurden um ihr Wahlrecht betrogen; Grenzen der Wahlkreise wurden manipuliert; Sinn Féin und die Republikanischen Clubs waren verbotene Organisationen; religiöse Diskriminierung beherrschte die Vergabe von Wohnraum, von Arbeit und viele andere Lebensbereiche; die Institutionen des Staates missachteten offen die Rechte und Ansprüche von Nationalisten und Republikanern.
Und dann ging vor vierzig Jahren, im Jahre 1968, die Bürgerrechtsbewegung auf die Strasse. Sie hatte in ihren Reihen viele Republikaner, Sozialisten, Kommunisten, Liberale, Gewerkschafter, Community Aktivisten und andere, darunter ursprünglich auch einige Unionisten.
Aber 1968 war auch das Jahr der gewalttätigen Reaktion des Unionismus und des unionistischen Staates auf die Bürgerrechtskampagne. Der Angriff (der Polizei) auf die Bürgerrechtsdemonstration in Derry im Oktober des Jahres markierte den Beginn eines rasch eskalierenden Konflikts, der länger als ein Vierteljahrhundert andauerte.
Republikaner und Unionisten, britische und irische Regierung, hatten ihren Anteil an diesem Krieg. Für einen Teil der Unionisten und auch Teile der britischen Seite war es sehr schwer, zu verstehen und zu akzeptieren, dass alle von uns die Verpflichtung haben, den Frieden zu bilden. Aber trotz der vielen Schwierigkeiten, und zur Überraschung und Freunde vieler, wurde signifikanter Fortschritt gemacht. Es ist eine Tatsache, dass Ian Paisley – und wer immer ihm als Führer der DUP nachfolgen wird – gleichberechtigt mit Martin McGuinness die parteiübergreifende Regionalregierung im Norden Irlands geleitet hat und weiter leiten will.
Grosse Veränderungen durch das Karfreitagsabkommen
In den vergangenen Monaten hat die parteiübergreifende Regionalregierung ein Regierungsprogramm verabschiedet, ein Budget und eine Investitionsstrategie. Die gesamtirischen Institutionen sind etabliert und arbeiten. Zu Beginn dieses Jahres traf eine Delegation von Ministern der irischen Regierung eine entsprechende Anzahl von Ministern aus dem Norden, um gemeinsam eine Reihe an Themen zu entscheiden, die das Leben aller Menschen auf dieser Insel betreffen.
Aber das sind nicht die einzigen Veränderungen, die das Karfreitagsabkommen hervorgebracht hat. Es gab massenweise Veränderungen. Manche hochgradig signifikant; andere weniger relevant, aber trotzdem ein Betrag zu grundlegender Veränderung des politischen Lebens und der Geschicke der Menschen auf dieser Insel.
Einige Beispiele (Auszüge aus dem Originaltext):
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Dies sind nur einige Beispiele vieler positiven Veränderungen, die als direktes Ergebnis des Karfreitagsabkommens eingeführt wurden. Zukünftig werden es noch mehr werden, sobald wir Fortschritt bei der Menschenrechts-Charta, dem Gesetz zur irischen Sprache, dem Transfer der Macht über Polizei und Justiz (aus London nach Belfast) machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in all diesen Punkten weiterkommen werden.
In Zukunft werden wir Republikaner weiterhin daran arbeiten, unser sich änderndes Verhältnis zum Unionismus zu verbessern. Ich sehe große Veränderungen in der Zusammenarbeit der Communities, wo Unionisten sehen, dass es sinnvoll ist, mit Sinn Féin zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Probleme zu lösen und um ihre Lebensqualität und die ihrer Familien und Nachbarn zu verbessern.
Ohne Furcht vor Diskriminierung und Repression
Als irische Republikaner haben wir natürlich das Ziel, die Wiedervereinigung Irlands zu erreichen und den britischen Einfluss auf dieser Insel zu beenden. Dieses Ziel ist mit der Einführung der Regionalregierung, des Regionalparlaments und der gesamtirischen Ministerkonferenzen nicht aufgegeben. All diese Institutionen sind Teil unserer Strategie: es sind Meilensteine auf dem Weg zu unserem wichtigsten Ziel. Ich glaube, dass wir diesem Ziel näher sind, als jemals in unserer Vergangenheit. Es gibt eine wachsende Unterstützung für die irische Einheit und wachsende Erkenntnis der wichtigen Rolle, die eine gesamtirische Ökonomie für den künftigen Wohlstand und das Wachstum dieser Nation spielt.
Aber nichts von alledem wird per Zufall passieren. Republikaner müssen darlegen, wie wir dieses historische Ziel erreichen wollen und wie wir die Bedingungen für ein vereinigtes Irland schaffen. In Sinn Féin habe ich eine Taskforce ins Leben gerufen, die mit hoher Priorität an einer Strategie arbeitet, die Entwicklung in Richtung irischer Einheit zu beschleunigen. Und alle, die die irische Einheit und das Recht der Iren, unsere Zukunft selbst zu entscheiden, unterstützen, fordern wir auf, mit uns gemeinsam dieses ausserordentliche Vorhaben umzusetzen, um daraus in den nächsten Jahren eine Bewegung für den Wandel zu schaffen.
Sinn Féin hat eine Schlüsselrolle im Friedensprozess gespielt und war die treibende Kraft der ausserordentlichen Veränderungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Irische Republikaner sind entschlossen, in der vor uns liegenden Zeit noch grössere Veränderungen zu erreichen. Noch niemals in den letzten 800 Jahren haben die Menschen auf dieser Insel ein neues Jahrhundert mit solcher Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft begonnen.
Fotos (CAIN, Archiv der Ulster University) : Der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens folgte eine Volksabstimmung in beiden Teilen Irlands. Das Plakat warb für die Unterstützung des Abkommens, das von der Bevölkerung im Sommer 1998 mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde.
Übersetzung: Uschi Grandel, 9. April 2008 (Erläuterungen in Klammern) Das Englischsprachige Original ist über unser Archiv zugänglich: weiterlesen >>