Presseerklärung und Unterschriftenkampagne von Relatives for Justice (RFJ)
Gegen den Versuch der britischen Nordirlandministerin und des Polizeipräsidenten der nordirischen Polizei PSNI, Familien von Opfern staatlicher Gewalt und pro-britischer Paramilitärs Informationen über den Tod ihrer Angehörigen vorzuenthalten. RFJ bittet um Unterstützung eines Protestschreibens an die Verantwortlichen (siehe unten).
Foto: Die Ministerin für Kultur, Kunst und Sport des nordirischen Parlaments Caral Ní Chuilin (Sinn Féin, links im Bild) ist auch verantwortlich für das staatliche Archiv, das Public Records Office. Sie übergibt die von drei Familien angeforderte Information zum Tod ihrer Angehörigen in den frühen Jahren des Nordirlandkonflikts an Clara Reilly und Mark Thompson, Sprecherin und Direktor von RFJ. RFJ ist eine Belfaster Selbsthilfeorganisation von Menschen, die im Nordirlandkonflikt Opfer staatlicher Gewalt oder Opfer der Gewalt pro-britischer paramilitärischer Organisationen wurden.
Am frühen Freitagabend trafen sich Clara Reilly und Mark Thompson von RFJ mit der Ministerin des nordirischen Parlaments Caral Ní Chuilin. Die Ministerin übergab RFJ Kopien der gerichtlichen Untersuchungen und der Mitschrift der Gerichtsverfahren bezüglich dreier Morde im Kontext des Nordirlandkonflikts. RFJ hatte diese Dokumente im Auftrag der betroffenen Familien gemäß dem Gesetz zur Informationsfreiheit (Freedom of Information) bereits vor einiger Zeit angefordert.
Die Minsterin Chuilin erklärte RFJ, dass die Verzögerung bei der Aushändigung der Dokumente durch eine Reihe von Überprüfungen entstanden sei, in denen geklärt wurde, ob der Veröffentlichung nicht staatliche Interessen entgegenstünden. Sie sei nun überzeugt, dass der Anfrage der Opferfamilien entsprochen werden könne. Sie habe außerdem den Rat des Generalstaatsanwalts eingeholt, der die Übergabe der Dokumente an die Familien ebenfalls unterstütze.
Widerstand gegen die Veröffentlichung kam von der nordirischen Polizei PSNI, dem HET (Historical Enquiry Team), einer Polizeieinheit, die konfliktbezogene ungelöste Fälle untersucht, sowie vom britischen Nordirlandministerium (Northern Ireland Office, NIO). Nach Erhalt der Dokumente gab der Direktor von RFJ diese noch am selben Abend an die betreffenden Familien weiter. Am Samstag wurde bekannt, dass die britische Nordirlandministerin und der nordirische Polizeipräsident eine einstweilige Verfügung gegen das Kopieren und die Herausgabe der Dokumente erwirkt hatten.
Stellungnahme von Mark Thompson, Direktor von Relative for Justice:
„Die Dokumente der gerichtlichen Untersuchungen und der Mitschrift der Gerichtsverfahren sind der Öffentlichkeit bereits bekannt. Sie wurden in öffentlichen Gerichtsverfahren verlesen, Teile davon wurden in Medien zitiert. RFJ und die betroffenen Familien können nicht verstehen, warum eine britische Nordirlandministerin und ein nordirischer Polizeipräsident die Veröffentlichung bereits öffentlicher Dokumente per einstweiliger Verfügung verhindern wollen.
In den vergangenen Jahren war es gängige Praxis von RFJ, solche Dokumente anzufordern, wenn die betroffenen Familien dies wünschten. Wir sind niemals auf ähnliche Probleme gestossen. Wir betrachten dies deshalb als Schikane und Einschüchterung von Familien, die elementare Informationen über den Tod ihrer Angehörigen suchen.
Wir sehen dieses Verhalten auch als Einmischung in den Prozess der Suche nach Wahrheit und in das Recht der Familien, die Wahrheit über den Tod ihrer Angehörigen zu erfahren. Der Fall hat eine zusätzliche politische Bedeutung für den demokratischen Prozess, weil die Entscheidung einer gewählten Ministerin und des Rechtsbeistands der Regionalregierung bezüglich öffentlicher Dokumente in einer solch lächerlichen Weise in Frage gestellt wird.
Dieses Verhalten der Nordirlandministerin und des Polizeipräsidenten ist allerdings in Einklang mit der Position der britischen Regierung, die den Familien die Wahrheit verweigert. Es ist aber besonders verwerflich, dass der Polizeipräsident in diese Aktion involviert ist. Denn vor Kurzem erst kam ein Bericht der Aufsichtsbehörde HMIC (Her Majesty’s Inspectorate of Constabulary) über das HET-Polizeiteam zu dem Ergebnis, dass das HET britische Soldaten, die an Tötungen beteiligt waren, bevorzugt behandelt und vor der Übernahme von Verantwortung für ihre Taten beschützt.“
Erklärung von Josephine Larmour, der Tochter von Sarah Larmour:
„Ich bin völlig entsetzt, dass die Organisation, die mich unterstützt, und Anwälte, die für die betroffenen Familien arbeiten, vor Gericht gebracht werden, wo doch diejenigen, die meine Mutter ermordet haben und diejenigen in den britischen Sicherheitskräften, die mit den Mördern zusammengearbeitet haben, vor Gericht stehen sollten.“
Die Opfer:
- Patrick McAdorey, von der Britischen Armee am 9. August 1971 getötet.
- Sarah Larmour, von der pro-britischen Ulster Volunteer Force (UVF) am 3. Oktober 1979 ermordet.
- Michael Donnelly, von der Britischen Armee am 9. August 1980 getötet.
Relatives for Justice bittet um breite Unterstützung
Unter Email an die Verantwortlichen kann eine Email an Teresa Villiers, PSNI Chef Matt Baggott und Justizminister David Ford unterzeichnet werden. Der Text der Email lautet in deutscher Übersetzung:
„Bezug nehmend auf die einstweilige Verfügung der Nordirlandministerin, des Justizministers und des Polizeipräsidenten gegen Relatives for Justice und die Anwaltskanzlei Kevin R Winters am 10.08.2013 erklären wir:
Wir fühlen uns folgenden Prinzipien verpflichtet:
- Wahrheit ist die Basis für Gerechtigkeit
- Opfer des Konflikts haben das Recht, die Wahrheit über die ihnen zugefügte Gewalt zu erfahren
- Wahrheit muss verbreitet werden, um gegen zukünftigen Missbrauch zu schütze
- Staatliche Dokumente sind von besonderem Interesse für Opfer staatlicher Gewalt
- Das Recht der Opfer auf Zugang zu staatlicher Information über die Umstände des Todes ihrer Angehörigen zu unterminieren, ist höchst bedenklich.
Wir appellieren an die Verantwortlichen: Unterstützen Sie die Familien, die während des Konflikts Angehörige verloren haben, bei der Verarbeitung ihrer Erinnerungen und bei der vollständigen Aufklärung der Todesumstände.
An Nordirlandministerin, Justizminister und Polizeipräsidenten: behindern Sie nicht länger der Informationssuche der Angehörigen.“
Hintergrundinformation
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