Die DUP – getrieben von pro-britischen Radikalen

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I. Einleitung

Seit der Wiedereinsetzung der nordirischen Regionalregierung im Jahr 2007, bis in das Jahr 2012 hat Nordirland eine Phase relativer Stabilität, des Ausgleichs und des politischen und gesellschaftlichen Fortschrittes durchlebt. Seit 2012 macht Nordirland durch Flaggenproteste, die Kontroverse über den Umgang mit den flüchtigen IRA Mitgliedern (OTRs¹) und die Verhaftung von Gerry Adams wieder Schlagzeilen. Die Democratic Unionist Party (DUP) hat in diesen Krisen jede verantwortungsbewusste und kooperative Politik zugunsten von billigem Populismus aufgegeben. Es stellt sich somit die Frage, was sich seit 2012 geändert hat. Warum vertritt die DUP plötzlich wieder eine Politik der Konfrontation? Die Antwort mag dabei so einfach wie erschreckend klingen. Die DUP lässt sich von radikalen Elementen innerhalb des unionistischen Lagers treiben. Um diese These zu verstehen und zu erhärten, ist es notwendig zwei Entwicklungen zu beschreiben, den Verfall der Ulster Unionist Party (UUP) und den Flaggenstreit von 2012.

II. Die Voraussetzungen für die Kursänderung der DUP

II.A. Der politische Verfall der UUP

Um den Verfall der UUP zu verstehen, muss man bis in das Jahr 1998 und zum Karfreitagsabkommen zurückgehen. Das Karfreitagsabkommen stellt die Grundlage des jetzigen politischen Systems in Nordirland dar(2), als Resultat dieses Abkommens entstand 1998 eine Allparteienregierung in Nordirland unter der Beteiligung der gemäßigt nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP) und der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin (SF) unter Führung von David Trimble von der UUP. Die Beteiligung von SDLP und insbesondere von SF an der Regierung, die ein sprechendes Eingeständnis darstellten, dass die unionistischen Alleinherrschaft vorbei war, führten innerhalb dieses Lagers zu Streitigkeiten und innerhalb der UUP sogar zur Spaltung der Parteiführung. McKttrick und McVea schreiben dazu:

„The republican community did not take very long to give general endorsement, but the agreement did produce deep division within the Ulster Unionist Party, and, unsurprisingly, outright hostility from Paisley. Trimble secured his party’s support, but some important party figures disapproved and did so vocally.“(3)

Um die radikale Gegnerschaft zum Karfreitagsabkommen von Ian Paisley, dem Gründer und Chef derDUP zu verstehen, sein hier ein kurzes Zitat eingefügt.“ This year will be a crisis year for our province. The British government, in cahoots with Dublin, Washington, the Vatican and the IRA, are intent to destroy the province. The so-called talks process is but a front. Behind it the scene is set and the programme in position to demolish the province as the last bastion of Protestantism in Europe(4). Dies spielte bei den ersten Wahlen zum nordirischen Regionalparlament 1998 noch keine große Rolle, die UUP stellte mit 21 Prozent und 28 Sitzen die stärkste protestantische Fraktion, Paisleys DUP, die das Abkommen ablehnte kam auf 18 Prozent und zwanzig Sitze(5). Auch wenn die UUP 8 Sitze im Parlament mehr besaß, konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass der Abstand zwischen denjenigen die das Abkommen ablehnten und sogar als Verrat ansahen und denjenigen, die das Abkommen als das geringere Übel betrachteten weniger als Prozent betrug. Die radikalen Unionisten saßen den gemäßigten immer Nacken. Anstatt für die eingegangenen Kompromisse einzutreten, versuchte David Trimble, sich als den wahren Hardliner im unionistischen Lager zu positionieren.

Das Resultat war, dass der Verhandlungsspielraum und der Verhandlungswille der UUP sich verkleinerten. Die Auflösung der nordirischen Regionalregierung 2001, ausgelöst durch die Unfähigkeit der UUP einen Kompromiss in der Frage der Entwaffnung paramilitärischer Verbände zu finden war ein Beispiel dieser Entwicklung(6). Im November 2002 zog sich die UUP dann vollständig aus der Regionalregierung zurück. Fünf Jahre direkte Herrschaft von London aus waren die Folge. Eine Zeit, die die UUP durchaus zur Konsolidierung hätte nutzen können, stattdessen verlor sie gegenüber DUP weiter an Boden. Zwar konnte die UUP 2003 noch einmal Stimmen dazu gewinnen, sie kam auf 22 Prozent, verlor jedoch einen Sitz, die DUP konnte jedoch noch deutlicher zulegen. Sie kam auf 25 Prozent der Stimmen und bekam 30 Sitze(7). Mit ihrer Gegnerschaft zum Karfreitagsabkommen, dem Anschein, dass die DUP traditionell unionistische Werte verteidigte und einer charismatischen Führungspersönlichkeit wie Ian Paisley befand sich die DUP im Aufwind. Der Aufwind verstärkte sich, als im St Andrews Akkord 2006 die Wiedereinführung der nordirischen Regionalregierung beschlossen wurde(8), Paisley erklärte daraufhin im November 2006, dass er, wenn die Umstände stimmten , für die Rolle des Regierungschefs in Nordirland bereit stünde.(9) In den darauffolgenden Wahlen im März 2007(10) konnte sich die DUP noch einmal verbessern. Sie kam auf 30 Prozent der Stimmen und auf 36 Sitze, die UUP kam nur noch auf 14 Prozent und auf 18 Sitze.(11) Ian Paisley hatte sich bereits im Oktober 2006 als denjenigen dargestellt, der die republikanische Bewegung bzw. Sinn Féin zu Zugeständnissen zwinge. Sinn Féin müsse in Vorleistung treten, denn er wolle keine Attentäter in der Regierung haben:

„The DUP has been consistent in our demand that there must be delivery from the republican movement before devolution can be restored in Northern Ireland. The days of gunmen in government are over.“(12)

Die Unionisten hatten stets behauptet, die politische Partei Sinn Féin und die bewaffnete Untergrundorganisation IRA seien dasselbe. Paisley sprach zu dieser Zeit immer nur von „Sinn Féin/IRA“. Des weiteren war ein zentrales Credo der Unionisten der Stolz auf den nordirischen Staat und seine Polizei. Unionisten hatten die Polizeireform von 2001 vehement bekämpft, die die Auflösung der alten paramilitärischen RUC und die Schaffung einer neuen zivilen Polizei und weitgehende Bürgerkontrolle vorsah. Deshalb mussten die in der Regierung vertretenen Parteien das Recht und die Polizei unterstützen. Er wollte aber Sinn Féin von der Kontrolle von Polizei und Justiz fernhalten und forderte deshalb, dass Kompetenzen erst dann an die Regionalregierung übertragen werden sollten, wenn es das nötige Vertrauen in der Gemeinschaft gäbe:

„Delivery on the pivotal issue of policing and the rule of law starts today. Everyone who aspires to sit in positions of power in our province must, by both word and deed, demonstrate their unequivocal support for the laws of the land and those whose job it is to enforce them. There is no definitive date for the devolution of policing and justice powers. We remain of the unshakable view that those powers can only be transferred whenever there is the required community confidence.“ (13)

Das Wahlergebnis deutete also daraufhin, dass die unionistische Wählerschicht Paisleys Worten glauben schenkte und in ihm jemanden sahen, der die Interessen der Unionisten nicht nur vertreten, sondern auch verteidigen konnte. Ganz im Gegensatz zur UUP. Der DUP schien es gelungen zu sein, die UUP als Ausverkäufer unionistischer Interessen, als eine schwache Partei zu portraitieren. Paisleys Worte deuteten auch daraufhin, dass er dachte, dass David Trimble den Republikanern einen zu großen Vertrauensvorschuss gegeben hatte, ihnen zu viel gewährt hatte und selbst zu wenig gefordert hatte. Aus der großzügigen Mehrheitsposition heraus beschloss die DUP am 26 März 2007 eine Koalition mit Sinn Féin einzugehen.(14) Als Reaktion auf diese Koalition trat Jim Allister aus der DUP aus und gründete seine eigene Partei.(15)

Bevor der Flaggenprotest behandelt werden kann, muss der politische Niedergang der UUP zusammengefasst werden. Wie gezeigt hatte die UUP 1998 einen großen Teil der protestantischen Wählerstimmen hinter sich vereint. Diese Mehrheitsposition ging in den folgenden Jahren jedoch schrittweise verloren. Als Grund kann dafür kann sicherlich die konstante Kritik der DUP gelten, der es gelang die UUP als zu lasch, als Ausverkäufer protestantischer Herrschaft und protestantischer Werte zu charakterisieren. Mit der eigenen radikalen Ablehnung des Karfreitagsabkommen und ihrer wertekonservativen Position konnte sie der UUP die enttäuschten Wähler abspenstig machen und die Partei vor sich hertreiben. Mit den eigenen Wahlerfolgen stieg jedoch die Chance selbst an die Regierung zu gelangen und damit auch die Chance selbst als Ausverkäufer gebrandmarkt zu werden. Dies wurde erst einmal dadurch verhindert, dass die DUP mit Ian Paisley einen Vorsitzenden besaß, der über den Vorwurf des Ausverkaufs mehr als erhaben war. Paisley hatte aber 2008 sein Amt als Regierungschef von Nordirland niedergelegt und war durch Peter Robinson ersetzt worden.(16) Robinson hatte bei weitem nicht die Reputation von Paisley. Der Austritt von Jim Allister und seine Gründung der Traditional Unionist Voice Partei (TUV) hatten bereits die Grundlage neuer Probleme gelegt. Allister hatte die Partei aus Protest gegen die Regierung von Sinn Féin und DUP gegründet.(17) Die TUV und andere erzkonservative Elemente spielten in dem zweiten zu analysierenden Entwicklung, dem Flaggenprotest von 2012 eine entscheidende Rolle.

II.B. Der Flaggenprotest

Das Karfreitagsabkommen hatte in Bezug auf Flaggen und Symbole folgendes festgelegt:

„All participants acknowledge the sensitivity of the use of symbols and emblems for public purposes and the need in particular in creating the new institutions to ensure that such symbols and emblems are used in a manner which promotes mutual respect rather than division. Arrangements will be made to monitor this issue and consider what action might be required.“ (18)

Warum die Flaggen in Nordirland von solcher Bedeutung waren und sind erklärt Martin Melaugh sehr eindrücklich:

„Symbols remain an important way of expressing political allegiance in Northern Ireland. Each community has its own set of, mutually exclusive, emblems. Flags are one manifestation of this difference with unionists/loyalists adopting the Union flag (Union Jack) of the United Kingdom, and nationalists/republicans displaying the Tricolour of the Republic of Ireland.“(19) (Symbole bleiben in Nordirland eine wichtige Ausdrucksform politischer Zugehörigkeit. Jede Gemeinschaft hat ihr eigenes Set von sich gegenseitig ausschließenden Emblemen. Flaggen sind eine Eindrucksform dieser Zugehhörigkeit, wobei die Unionisten/Loyalisten den „Union Jack“ und Nationalisten/Republikaner die Flagge der Republik Irlands nutzen.)

Um die Bestimmungen des Karfreitagsabkommen umzusetzen, stellte Sinn Féin die Flagge auf dem Belfaster Rathaus zur Disposition. Sinn Féin, die stärkste Fraktion im Belfaster Rat hatte vorgeschlagen den „Union Jack“ endgültig und für immer von den Fahnenmasten des Belfaster Rathauses zu entfernen. Die unionistisch/ loyalistischen Parteien beharrten darauf, die Flagge so wie in der Vergangenheit 365 Tage im Jahr wehen zu lassen. Die gemäßigt protestantische Allianz Party schlug vor die Flagge nur noch an bestimmten Tagen, zumeist an Geburtstagen von Mitgliedern der königlichen Familie, aufzuziehen.

Der Kompromissvorschlag wurde auch von Sinn Féin akzeptiert und angenommen. (20) Der Kompromiss ging hinter das Karfreitagsabkommen zurück, sollte jedoch den Frieden aufrechterhalten, eine Illusion wie sich herausstellte. Während die Entscheidung noch debattiert wurde, hatten sich bereits eine große Gruppe von radikalen Unionisten zumeist aus Ostbelfast versammelt und als die Entscheidung nach außen drang, kam es zu tumultartigen Zuständen, die sich zu einem tageandauernden Aufstand entwickelten.(21) Um den Aufstand zu verstehen muss man zwei Faktoren bedenken, den Einsatz von Flaggen im nordirischen Kontext und das Gefühl des Ausverkauftwerdens auf Seiten der Demonstranten Gerade die Loyalisten und mit ihnen auch die Oranierorden nutzen Flaggen als Abgrenzungs- und Konfrontationssymbol. Mit diesem Hintergrundwissen versteht man warum die Flaggenproteste eine solche Virulenz entwickeln konnte.

Das Einholen der Flagge bzw. die Entscheidung darüber gab das Innenstadtgebiet frei, ein Gebiet das die Unionisten traditionell als ihren Bereich angesehen haben. Das Einholen der Flagge ging auch mit dem Gefühl des Ausverkauftwerdens einher. Sie fühlten sich von der Alliance Party verraten, aber auch von der DUP. Damit sahen sich die Alliance Party und die DUP denselben Vorwürfen ausgesetzt, die sie an die UUP gerichtet hatte. Die Proteste waren an Heftigkeit kaum zu überbieten. Bis zum Ende der Proteste am 9 Januar 2013 wurden insgesamt 174 Personen verhaftet und 146 Polizisten verwundet. Zusätzlich entstand massiver Sachschaden. Als Anführer und Rädelsführer wurden von der Polizei Mitglieder de paramilitärischen Formation „Ulster Volunteer Force“ (UVF) vermutet. (22) Die Vermutung der Polizei waren recht akkurat, da genau die Elemente um die TUV und UVF herum am Meisten von der Unzufriedenheit in Teilen des unionistischen Lagers profitierten. Die Proteste hatten Peter Robinson sicherlich gezeigt, dass ihnen eine Konkurrenz auf dem rechten Flügel erwachsen war und eine Radikalisierung weiterer Teile der Unionisten drohte.. Sinnbildlich hier für sind der Umgang mit der Kontroverse um den Umgang mit flüchtigen ehemaligen Häftlingen und in der Verhaftung von Gerry Adams.

III. Die DUP von den Radikalen gehetzt oder Angriff ist die beste Verteidigung

III.A. Das Problem der „On The Runs“ (OTR)

Nachdem Ende Februar 2014 der Prozess gegen John Downey einen der angeblichen Bombenleger des Hyde Park Anschlag von 1982 geplatzt war entstand eine Debatte über den Umgang mit flüchtigen IRA Mitgliedern , die von der britischen Regierung im Rahmen der Nachverhandlungen zum Karfreitagsabkommen eine Versicherung darüber erhielten, dass sie nicht gesucht wurden. Bei den „On the Runs“ handelt es sich um 187 ehemalige IRA-Mitglieder, denen für Straftaten, begangen zwischen 1969 und 1998 in Nordirland und Großbritannien, strafrechtliche Verfolgung drohte. Im Rahmen des Karfreitagsabkommen musste eine Lösung für die besagten Personen gefunden werden. Eine generelle Amnestie kam auch für die irischen Parteien nicht in Frage, da dies auch eine Amnestie für britische Soldaten und loyalistische Paramilitärs bedeutet hätte. Stattdessen schlug die Blair Regierung Sinn Féin vor, die genannten Paramilitärs über Briefe von ihrer Straffreiheit zu informieren.(23)

Die Crux bei diesen Briefen war jedoch nicht die Straffreiheit an sich, sondern, dass sowohl die irische Regierung, als auch die DUP behaupten, sie hätten von dieser Übereinkunft nichts gewusst. Das Problem für die DUP besteht jedoch darin, dass sie mit Sinn Féin seit 2007 in der Regierung sitzt und daher auch über die Briefe Kenntnis besitzen müsste. Gerry Kelly hat mit seiner an Peter Robinson gerichtete Kritik nicht Unrecht:

„It was very public and for the Unionists to claim they knew nothing about it is false. (Robinson) knew about the OTR situation, he knew they were crucial to the peace process and the political process.“(24)

Trotz dessen, dass es wahrscheinlich IST, dass Peter Robinson Kenntnisse über die Briefe besitzt, drohte dieser am 26. Februar mit seinem Rücktritt wenn sich nicht eine Untersuchungskommission mit den Briefen auseinandersetze.(25) Auf die Drohung reagierte die Regierung in London prompt und gab bekannt, dass ein Richter sich mit den „On the Runs“ und dem Zustandekommen der Briefe beschäftigen werde.(26) Die Krise um die „On the Runs“ wurde also relativ schnell entschärft, aber wieso hat Peter Robinson diese Krise überhaupt erzeugt? Warum hat er bewusst Schaden für den Friedensprozess und das Zusammenbrechen der nordirischen Demokratie in Kauf genommen? Haben konservative Politiker wie Robinson in der OTR Frage versucht das Rad der Geschichte zurück zu drehen, wie es der ehemalige Nordirlandminister Peter Haines behauptet(27), oder stecken andere Gründe dahinter?

Angesichts der beschriebenen Problematik kann Robinsons Versuch bewusst eine politische Krise zu erzeugen durchaus als eine politische Strategie gedeutet werden. Robinson versucht die Kontrolle über die Protestler zurückzugewinnen und radikalen Elementen wie der UVF die Stirn zu bieten. Das funktioniert seiner Meinung nach am besten, in dem man den politischen Gegner mit harten Bandagen angeht und ihn versucht an seiner Schwachstelle zu treffen. Die irisch-republikanische Bewegung hat ihre Vergangenheit bisher in Einzelfällen aufgearbeitet und erkennt ihre Verantwortung für die Vergangenheitsbewältigung an. Sie fordert dies aber auch von allen anderen politischen Fraktionen, paramilitärischen Verbänden und auch der britischen Regierung. Die Vergangenheit als Mittel zur Stärkung der eigenen machtpolitischen Rolle und zum opportunistischen Wählergewinn einzusetzen scheint auf der Agenda der DUP und von Peter Robinson weit oben zu stehen. Als Reaktion auf die OTR Kontroverse verkündete die Nordirlandministerin Teresa Villier am 7 März: „None of the IRA’s „on-the-runs“ who hold police letters promising immunity is safe from arrest.“(28) Die Ankündigung der Nordirlandministerin zeigt, dass sie Robinsons Drohung ernst nimmt und bereit ist die Affäre im Sinne der DUP konsequent aus dem Weg zu räumen. Durch ihre Ankündigung hat sie jedoch ebenso ein Klima des Misstrauens geschaffen, in der Vergangenheitsbewältigung und ein Vorwärtskommen der nordirischen Gesellschaft effektiv erschwert wird. Denn wenn jetzt wieder eine Bestrafung vergangener Verbrechen im Raum steht, werden sich Ex-Paramilitärs oder ehemalige Angehörge bewaffneter Organisationen es sich zwei Mal überlegen überhaupt über ihre Vergangenheit zu sprechen. In diesem Klima des Misstrauens wird es auch schwierig werden, den Mordfall um Jean McConville komplett aufzuklären. An diesem Mordfall zeigt sich ebenfalls, dass es sich bei der OTR Kontroverse und dem Wiederaufkochen der Vergangenheit durch die DUP nicht um einen Einzelfall handelt sondern um eine gezielte Taktik der Partei, um von den Schwierigkeiten ihres Klientels abzulenken.

III.B. Der Mordfall McConville und die Verhaftung von Gerry Adams

Bei Jean McConville handelte es sich um eine 37 jährige Witwe, die 1972 von IRA entführt wurde und später erschossen wurde. Gerry Adams wurde spätestens seit 2010 und den Anschuldigungen durch seinen ehemaligen Freund Brendan Hughes mit dem Mord in Verbindung gebracht,(29) ohne dass bisher stichfeste Beweise gegen den Sinn Féin Chef aufgetaucht wären. Am 30 April 2014, einem Mittwoch, wurde Gerry Adams verhaftet und zu einer Rolle in dem Mordfall McConville befragt. Bei den Befragungen ging es nach Adams eigener Aussage im Wesentlichen darum, dass er ein Mitglied der IRA gewesen sei: „They said that this would happen at a later interview but they wanted to take me through my childhood, family history and so on. Over the following four days it became clear that the objective of the interviews was to get to the point where they could charge me with IRA membership and thereby link me to the McConville case. The membership charge was clearly their principal goal. The interrogators made no secret of this. At one point the male detective described their plan as „a stage-managed approach“. It later transpired that it was a phased strategy, with nine different phases.”(30) Am Sonntag wurde Gerry Adams dann entlassen, ohne dass sich der Verdacht gegen ihn erhärtet hätte.

Die Verhaftung von Gerry Adams erscheint nicht nur deswegen suspekt, weil die Leiche von Jean McConville bereits 1998 gefunden wurde und keine weiteren Ermittlungen eingeleitet wurden.(31) Auch das Datum der Verhaftung kurz vor der Europawahl hinterlassen Zweifel über einen unpolitischen Charakter der Verhaftung aufkommen. Gerry Adams beschreibt dies selbst:

„Last Monday the PSNI said it wanted to speak to me. I was concerned about the timing. Sinn Féin is currently involved in very important EU and local government elections. Notwithstanding this, I travelled to the Antrim serious crime suite where I arrived at 8.05pm.“(32)

Sinn Féin spricht im Zusammenhang mit der Verhaftung von „dunklen Kräften innerhalb der nordirischen Polizei“. Wie immer man das bewertet, ganz ohne politisches Interesse lief die Verhaftung nicht ab, auch wenn der Chef der nordirischen Polizei Mark Baggot etwas anderes behauptet:

„The arrest and questioning of Mr Adams was legitimate and lawful and an independent judge subsequently decided that there were grounds for further detention.“(33)

Als Adams am Sonntag entlassen wurde, bekräftigte er auf einer Kundgebung die weitere Unterstützung der Polizei durch Sinn Féin. Dies war ein richtiger Schritt, denn die DUP hatte im Fall einer Ablehnung der Polizei durch Sinn Féin bereits einen Plan in der Tasche.

„The DUP leader said that in the absence of Sinn Féin’s support for policing, his party would have put forward a motion to exclude the republican party from the Northern Ireland executive. We would not be slow in bringing forward a motion for their exclusion,“ Robinson said. „Indeed, if Sinn Féin had not corrected their position, the motion would have gone down.(34)

Wenn Sinn Féin also ihre berechtigten Zweifel an der Polizei ausgeweitet hätten in eine Fundamentalkritik der Polizei, wären sie aus der Regierung geflogen. Das ist schon eine interessante Aussage. Hinzu kommt, dass die DUP überhaupt einen solchen Plan in der Hinterhand hatte sagt bereits vieles und lässt auf die Intentionen hinter der Adams Verhaftung schließen. Die DUP hatte wohl gehofft Sinn Féin zwischen den Amboss und den Hammer zu bekommen. Einerseits mussten die erneuten Anschuldigungen gegen Adams und seine ungeklärte Vergangenheit Sinn Féin Stimmen kosten, andererseits konnte die Rage der Sinn Féin Mitglieder und vieler Katholiken in Nordirland durchaus dazu führen, dass sich Sinn Féin von der Unterstützung der Polizei lossagt, dann hätte die Stunde der DUP geschlagen. Die nordirische Polizei hat wohl nicht an einem Komplott der DUP mitgewirkt, ihm jedoch in die Hände gespielt. Dass das Komplott nicht aufgegangen ist, liegt wohl an der Überschätzung des Zorns in den irischen Vierteln durch die DUP und an der besonnen Reaktion der Sinn Féin Politiker. Ähnlich wie in der OTR Kontroverse hat die DUP erneut versucht, die Vergangenheit zu nutzen, um von Problemen in der Gegenwart abzulenken und ihre Anhänger zu mobilisieren. Gegen angebliche Kidnapper und Terroristen lassen sich leicht Stimmungen erzeugen, ob dies ein legitimer und gangbarer Weg für die nordirische Politik ist bleibt fraglich.

IV. Die DUP und die radikalen Unionisten: eine Problemanalyse

Wie gezeigt, entsprang der Kurswechsel der DUP und die Anti-Sinn Féin und Ant-Republikaner Politik nicht aus einer Laune von Peter Robinson oder aus einem Versuch des Selben, sich gegenüber seinem Amtsvorgänger und Säulenfigur der DUP Ian Paisley zu profilieren. Der Kurswechsel entstammte wohl eher aus dem Grund, dass sich die DUP von unionistischen Hardlinern aus der TUV und der UVF jagen ließ und jagen lässt. Die Flaggenproteste und ihre Instrumentalisierung durch die UVF haben der DUP deutlich gemacht, dass es immer noch Teile innerhalb der Unionisten gibt, die den Friedensprozess und die Allparteienregierung ablehnen und versuchen das Land in die alten, schlechten Zeiten zurück zu bringen. Diese Elemente gibt es auch auf republikanischer Seite, mit dem Unterschied, dass diese Elemente von Sinn Féin verbal attackiert werden und nicht in der Lage sind, die Partei vor sich her zu treiben. Ganz im Gegensatz zur DUP: Eine konsequente und weitreichende Verurteilung der Flaggenproteste unter konkreter Nennung der Täter ist ausgeblieben. Stattdessen hat die DUP versucht die radikalen Elemente zurück ins Boot zu holen, in dem sie eine kompromisslose Haltung gegenüber Sinn Féin einnahm. Robinson und andere haben aktiv versucht sich auf Kosten von Sinn Féin und unter Beschwörung der Vergangenheit Wählerstimmen zu erheischen und Stimmung zu machen. Anders lassen sich die Kontroversen um die OTRs und die Reaktion auf die Verhaftung von Gerry Adams nicht erklären. Die Taktik der DUP ist dabei nicht neu, sondern wurde schon bereits von der UUP praktiziert. Die DUP befindet sich 2014 in einer ähnlichen Lage, in der sich die UUP 2001 befand. Sie ist von einer treibenden politischen Kraft zu einer getriebenen Partei geworden. Die Frage bleibt, ob die Partei durch ihre strikte Haltung und ihre Parolen die Wähler am Rand des unionistischen Lagers wieder zurückholen kann oder ob sich die Partei schleichend weiter radikalisiert. Die Haltung der Partei hat bereits viel Vertrauen gekostet und wird die Regierungsarbeit sicherlich weiter erschweren. Wohin sich die DUP in Zukunft wendet ist nicht abzusehen. Zu wünschen wäre es aber, dass sie zu einer soliden und kompromissbereiten politischen Arbeit zurückkehrt


Nordirlands Weg zum Frieden: Siehe auch unseren Schwerpunkt zum Karfreitagsabkommen von 1998 und dem darauffolgenden Kampf um die Demokratisierung Nordirlands: weiterlesen >>


Fußnoten:

1 OTR (On the Run) bezeichnet 187 IRA-Mitglieder, die für Straftaten während des Nordirlandkonflikts gesucht, jedoch nie verhaftet wurden. Gemäss dem Karfreitagsabkommen hat jeder dieser OTRs ein Gerichtsverfahren und danach maximal zwei Jahre Gefängnis zu befürchten. Sinn Fein hat während der Verhandlungen vergeblich versucht, eine Amnestie für diesen kleinen Kreis durchzusetzen. Gescheitert ist die Amnesty an der Forderung Großbritanniens, dann auch alle Soldaten der britischen Armee und Polizeioffiziere – und damit mehrere tausend – pauschal zu amnestieren.

2 David McKittrick, David McVea: Making Sense of the Troubles, London 201, S220, im Folgenden zitiert als McKittrick, McVea: Making Sense of the Troubles.

3 McKittrick, McVea: Making Sense of the Troubles, S.221.

4 Ian Paisley: Ian Paisley in his own words, in: the Guardian2. March 2010, abgerufen über theguardian.com

5 Northern Ireland Assembly Elections 1998, abgerufen über Elections 1998

6 Stefan Wolff: Between Stability and Collapse: Internal and External Dynamics of Post-agreement Institution-building in Northern Ireland, in: The Global Review of Ethnopolitics Vol.3 No.1 September 2003, S.8, im Follgenden zitiert als: Stefan Wolff: Dynamics Northern Ireland.

7 Northern Ireland Assembly Elections 2003, abgerufen über: Elections 2003

8 Paul Owen: What is the St Andrews Agreement?, in: the Guardian, abgerufen über: theguardian.com

9 Gordon Gillespie: The A to Z of the Northern Ireland Conflict, Lanham 2008, S.77, im Folgenden zitiert als: Gillespie: Northern Ireland Conflict.

10 Ebd.

11 Northern Ireland Assembly Elections 2007, abgerufen über: Elections 2007

12 Ian Paisley: Statement following the Talks in St Andrews, Scotland (13 October 2006), in der Folge zitiert als: Paisley Statement abgerufen über: CAIN

13 Ebd.

14 Gillespie: Northern Ireland Conflict.S.77

15 Ebd.

16 Katie Franklin: Ian Paisley to resign as First Minister, in: The Telegraph, abgerufen über Telegraph

17 New Unionist Group to be launched, abgerufen über: BBC

18 Text des Karfreitagsabkommens, abgerufen über: CAIN

19 Martin Melaugh: Notes on the protest related to the Union Flag at Belfast City Hall, December 2012-January 2013, aufgerufen über: CAIN, im Folgenden zitiert als Melaugh: Flag Protest

20 BBC

21 Ebd.

22 Ebd.

23 Henry McDonald: IRA Secret Letters: who are the on-the-runs? in the Guardian, abgerufen über: theguardian.com

24 Claire Crome: Peter Robinson gives Government an ultimatum about secret letters to IRA on-the-runs, in: Belfast Telegraph, im Folgenden zitiert als Crome. Peter Robinson gives Ultimatum abgerufen über Belfast Telegraph

25 Ebd.

26 David Young: Investigation to be launched into Northern Ireland Letters says Cameron, in: the Independent, abgerufen über Independent

27 als Crome. Peter Robinson gives Ultimatum, abgerufen über: Belfast Telegraph

28 Henry McDonald: No IRA fugitive save from arrest-Northern Ireland Secretary, in: the Guardian, abgerufen über: theguardian.com

29 Henry McDonald Jean McConville timeline: how a 1972 murder returned to haunt Gerry Adams, in the guardian, im Folgenden zitiert als: McDonald: McConville Timeline abgerufen über: theguardian.com

30 Gerry Adams: The Jean McConville killing: I’m completely innocent. But what were my accusers‘ motives? in: the Guardian, im Folgenden zitiert als: Adams: The Jean McConville killing abgerufen über theguardian.com

31 McDonald: McConville Timeline, abgerufen über: theguardian.com

32 Adams: The Jean McConville killing abgerufen über Adams: The Jean McConville killing abgerufen über theguardian.com

33 Henry McDonald: Gerry Adams arrest defended by Northern Ireland police chief, in: the Guardian, abgerufen über: theguardian.com, im Folgenden zitiert als: McDonald: Gerry Adams arrest

34 Ebd.