Zweifel an der offiziellen Version

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Über das Attentat auf den Sinn Féin Präsidenten Gerry Adams vor 32 Jahren.

Auf den ersten Blick scheint der Attentatsversuch auf Gerry Adams im März 1984 klar und eindeutig. Während der Mittagspause seines Gerichtsverfahrens wegen „Behinderung der Polizei“ fahren Gerry Adams und seine Mitangeklagten in Richtung West Belfast. Auf dem Weg dorthin schießen drei Mitglieder der pro-britischen paramilitärischen Ulster Defense Association (UDA) aus einem Wagen auf den heutigen Sinn Féin Präsidenten und verletzen ihn und andere Personen schwer. Der Fahrer von Adams Wagen steuert daraufhin ein nahegelegenes Krankenhaus an. Die Täter werden kurze Zeit später verhaftet, verurteilt und verbüßen lange Haftstrafen. An der Täterschaft der drei Männer bestehen ebenso wenig Zweifel wie an ihrer Organisationszugehörigkeit. Die Tarnorganisation der UDA die Ulster Freedom Fighters (UFF) bekennt sich telefonisch zu dem Attentat.

Die Art und Weise, wie die Verhaftung zustande kam, nährt den Verdacht, britische Stellen könnten involviert gewesen sein. Denn nicht die Royal Ulster Constabulary (RUC) stellt die Täter, sondern drei britische Soldaten. Alle drei Militärangehörigen waren in Zivil, zwei der britischen Soldaten gehörten zur Militärpolizei, der dritte ist Angehöriger des Ulster Defence Regiments (UDR). Dieser Umstand lässt die Frage zu, wieso die britischen Streitkräfte schneller agierten als die Polizei. Hatten sie einen Informationsvorteil, das heißt waren sie über das Attentat im Voraus informiert, oder waren sie den Attentätern gar gefolgt? Die Festsetzung der Täter durch das Militär erzeugt auch Fragen hinsichtlich der Polizeiarbeit. Wieso war diese nicht direkt vor Ort, obwohl sie unmittelbar über das Attentat informiert wurde? Arbeiteten Polizeibeamte mit den Tätern zusammen? Den Verdacht, dass die britischen Streitkräfte über das geplante Attentat informiert waren, äußerste Adams bereits kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus. „Es ist ziemlich offensichtlich, dass der britische Geheimdienst von dem Vorgang Kenntnis besaß und mich und meine Genossen aus dem Weg schaffen wollte.“ Mit beweiskräftigen Fakten unterlegen konnte er seinen Verdacht jedoch nicht.

Jedoch tauchten in den folgenden Jahren immer neue Fakten über die Zusammenarbeit britischer Sicherheitskräfte und pro-britischer Paramilitärs auf. In Nordirland wird diese Verflechtung als „Collusion“ bezeichnet. Und auch in diesem Fall ist die Rolle der britischen Streitkräfte und der Geheimdienste wegen vieler offener Fragen noch immer nicht geklärt.

Der Ombudsmann schaltet sich ein

Die Andersontown News berichtete 2006, dass die Polizei von dem Attentat wusste, dass Spezialisten der britischen Armee die Kugeln manipuliert hätten und schließlich, dass ein Staatsschutzbeamter in die Planung des Attentats mit einbezogen war. All dies führte dazu, dass der Polizeiombudsmann auf -Beschwerde von Gerry Adams -den Mordanschlag noch einmal untersuchte. Hierbei ging es vor allem darum, inwiefern sich Polizeibeamte Fehlverhalten zu Schulden kommen ließen, in dem sie Informationen nicht weiterleiten etc. Zudem untersuchte der Ombudsmann, ob im Fall des Attentats auf Adams eine Verschwörung zum Mord bzw. zu schwerer Körperverletzung vorlag.

Der Untersuchungsbericht kam 2013 zu dem Schluss, dass kein Polizist kriminell gehandelt habe oder sich ein Fehlverhalten zu Schulden hatte kommen lassen. Auch die anderen Anschuldigungen ließen sich durch Beweise nicht stützen, verkündete der Bericht. Dennoch kann auch der Bericht des Ombudsmanns die Sicherheitskräfte und die Polizei nicht reinwaschen und die Gerüchte und die Anschuldigungen nicht tilgen. Der Bericht wirft neue Fragen vor allem in den drei Bereichen Tatwaffen, die Rolle des Staatsschutzes und der Kriminalpolizei und die Überwachungstätigkeit der britischen Streitkräfte auf.

Das Rätsel um die Tatwaffen

Die Polizei stellte drei Tatwaffen sicher. Eine 45 Colt Pistole, eine Walther P38und eine 9mm Walther Pistole. Am Tatort fand die Spurensicherung 12 Kugeln, von denen nach forensischen Untersuchungen sechs aus der Walther P38 abgefeuert wurden, eine weitere 9mm Kugel wurde ebenfalls aus der P38 abgefeuert. Dem Untersuchungsbericht zu Folge wurde angenommen, dass die zweite Walther nicht benutzt wurde. Die Spurensicherung untersuchte auch das Auto in dem Adams gesessen hatte. Sie dokumentierte neun Einschusslöcher und stellten fünf Kugeln sicher. Dem Ombudsmann Bericht zu Folge, stellten die Polizeiakten zwar fest, dass der Colt benutz wurde aber sie machten keine Angaben darüber, dass Munition des Colts gefunden wurde. Die Funde am Tatort und die nicht vorhandene Munition des Colts lassen die Vermutung zu, dass die Waffen manipuliert wurden. Die Manipulation schließt der Bericht des Ombudsmannes jedoch aus. Nach einer Überprüfung der Waffen und der Munition wurde durch externe Tester festgestellt, dass die Waffen ordnungsgemäß funktionierten und die Munition tödliches Potential hatte. Kritisch ist hier anzumerken, dass die Waffen erst 1988 an die Waffenkontrollstelle abgegeben wurden. Sie lagen damit vier Jahre lang in einer Asservatenkammer und damit im Zugangsbereich von Polizisten und Staatsschutz. Es besteht die Möglichkeit, dass die entsprechend manipulierten Kugeln aus der Waffe entfernt wurden. Für die Manipulation der Waffen spricht auch die Aussage eines der Attentäter. Er berichtet, dass seine Waffe zwar einen lauten Knall von sich gegeben habe, aber keine Kugel. Zudem habe er im Gefängnis erfahren, dass man das Team, welches Adams töten sollte in eine Falle gelockt habe.

Welche Rolle spielte der Staatsschutz?

Die Rolle des Staatsschutzes thematisiert der Bericht des Ombudsmann ebenfalls .Er hatte der Polizei nicht mitgeteilt, dass die UDA Führung einem Attentat auf Adams zugestimmt hatte. Unter ihnen auch ein auch nicht näher bekannter Anführer der UDA aus dem protestantischen Rathcoole Viertel in Belfast. Über diesen Anführer berichtete ein anderes UDA Mitglied “ Die Briten hatten auch Hilfe von Jemanden aus unseren Reihen. Ein UDA Anführer aus der Gegend [Rathcoole] .“ Aus Rathcoole kam auch eines der Mitglieder des Teams, welches Adams umbringen sollte. Wenn sich Geheimdienstbericht und Aussage des ehemaligen UDA Mitgliedes bestätigen sollten, dann wusste zu mindestens die britische Armee von dem Anschlag bzw. dass dieser stattfinden sollte. Dies würde wiederum eine andere Erklärung für die Anwesenheit von Militärpolizisten in Zivil liefern.

Die britischen Soldaten in Zivil

Nach ihrer eigenen Aussage befanden sich die zwei Militärpolizisten, von denen einer eine spezielle Überwachungs-und Personenschützer Ausbildung durchlaufen hatte, im Stadtzentrum zur Planung einer Überwachungsmission. Dies wurde dem Ombudsmann Bericht zu Folge von mehreren Zeugen bestätigt. Dennoch bleiben angesichts der Geheimdienstinformationen Zweifel. Wieso wurde eine solche Operation im Rathaus geplant und nicht im Hauptquartier der Armee in Lisburn? Zudem verließen die beiden Soldaten genau zu Beginn des Attentats das Rathaus. Ein Zufall der misstrauisch macht. Auch der britische Soldat, der die Attentäter anhielt und sie festsetzte war nicht frei von Widersprüchen. Nach Aussage des Berichtes erkannte er zwei der drei Täter dem Sehen nach und war sich darüber im Klaren, dass es sich um Mitglieder der UDA handelte. Einer der Attentäter erkannte den Soldaten und informierte diesen, dass er sich in den Fuß geschossen habe. Entweder pflegte der Soldat, der nicht zur regulären Armee, sondern zur UDR gehörte privaten Umgang mit UDA Mitgliedern, kam aus derselben Gegend, oder hatte zwei der drei Mitglieder bereits Erkennungsdienstlich behandelt. Erneut scheint es seltsam, dass ein UDR Soldat, der die Täter kannte diese auch überführte.

Als letztes Indiz dafür, dass die britische Armee eine Ahnung hatte, dass ein Attentat geplant war, dient die Entdeckung des UDA Schießplatzes Rund einen Monat vor dem Attentat auf Adams hoben 10 UDR Soldaten einen Schießplatz der UDA aus und entdeckten dabei Patronenhülsen von zwei während des Attentats verwendeten Waffen, der Walther P38 und des Colts. Inwiefern die UDR die Aushebung des Schießplatzes den Polizeibehörden gemeldet hatte vermerkt der Bericht des Ombudsmann nicht. Der UDR Soldat, der die Täter stellte, berichtete gegenüber dem Ombudsmann, die UDR hätte angeblich in den gefundenen Patronenhülsen vor allem eine Gefahr für UDR Mitglieder gesehen undging zunächst davon aus, dass der UDR und nicht Gerry Adams die Kugeln galten. Glaubhaft ist diese Darstellung allerdings nicht, weil es seit Mitte der 70er Jahre eine enge Verbindung zwischen UDR und UDA gab. In vielen Fällen fungierte die UDR als Waffenlieferant der UDA und deklarierte die fehlenden Waffen offiziell als gestohlen. Es gibt auch viele Fälle von Doppelmitgliedschaft.

Fazit

Der Bericht des Ombudsmann sieht bei der Polizei im Falle des Anschlages auf Gerry Adams kein nachweisbares Fehlverhalten. Er zeigt aber auch, dass der Fall bei weitem nicht so eindeutig ist, wie er zunächst erscheinen mag. Die Verstrickungen der britischen Armee, insbesondere der Militärpolizei und der UDR in den Fall lassen sich durch den Bericht ansatzweise aufzeigen und bedürften einer tieferen und genaueren Überprüfung. Insbesondere die Rolle der UDR wirft viele Fragen auf, da sie maßgeblich an der Verhaftung der Attentäter und dem Ausheben des Schießplatzes beteiligt war. Insgesamt zeigen der Bericht und die sonst verfügbaren Materialen, dass der nordirische Staatsschutz und die britische Armee Kenntnis von einem Attentat auf Adams hatten. Dass sie diese Informationen nicht weiterleiteten stellt ein schweres Versäumnis dar. Ein Versäumnis, was im Zweifelsfall Menschenleben hätte kosten können. Über die Gründe warum diese Info nicht weitergegeben wurde schweigt der Ombudsmannbericht. Dass der Staatsschutz von der Aktion wusste, zeigt einerseits, wie tief der Geheimdienst und damit auch die Streitkräfte mit den loyalistischen Paramilitärs verbandelt waren, auf der anderen Seite zeigt es aber auch, dass sie durch das Vorenthalten von Informationen Menschenleben gefährdeten und aufs Spiel setzen. Dabei ist es egal, ob der Staatsschutz fahrlässig oder mit Absicht die Information nicht weiter gab. Angesichts der Fakten aus dem Ombudsmannbericht müsste im Fall Adams eigentlich eine zweite Untersuchung angestrengt werden, um die Rolle der britischen Streitkräfte und der ihr beigeordneten UDR zu untersuchen.


Foto (An Phoblacht, 14. März 2014):  19. März 1984 – Gerry Adams und Danny Morrison auf dem Weg zur Pressekonferenz nach der Entlassung von Gerry Adams aus dem Krankenhaus