Wie beendet man einen Krieg?

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Vor 20 Jahren wurde in Nordirland das »Karfreitagsabkommen« unterzeichnet

Ohne die Diskussion um den »Brexit«, die den internationalen Blick wieder auf Nordirland und die innerirische Grenze gerichtet hat, wäre der 20. Jahrestag der Unterzeichnung des nordirischen Friedensabkommens am 10. April 1998, der ein Karfreitag war, ähnlich unspektakulär verlaufen wie die runden und unrunden Jahrestage zuvor. Dabei ist der Friedensprozess in Nordirland ein Lehrstück von großer Aktualität.

Schon bevor Großbritannien 1921 Nordirland vom Rest der irischen Insel abspaltete, waren die irischen Viertel in Belfast und Derry der »Feind im Innern«. Durch die Spaltung Irlands sahen sie sich einem neuen probritischen und protestantischen Staat gegenüber, der sie brutal unterdrückte, ihnen Wohnung, Ausbildung, Arbeit und politische Teilhabe vorenthielt und die Unterordnung der protestantischen Arbeiterviertel unter die Oranierorden, sektenähnliche antikatholische Organisationen, durchsetzte.

Die Linkspartei Sinn Féin (SF), die seit Anfang des 20. Jahrhunderts als antikoloniale Kraft politisch für ein vereinigtes und von Großbritannien unabhängiges Irland kämpft, war eine treibende Kraft des Abkommens. Die Partei hatte mit befreundeten Organisation wie dem ANC in Südafrika oder der baskischen Freiheitsbewegung Wege zum Frieden diskutiert. Parallel dazu begann der langjährige SF-Präsident Gerry Adams schon in den 1980er Jahren Gespräche mit John Hume, dem Vorsitzenden der nordirischen Social Democratic Labour Party (SDLP), um die Möglichkeit eines Friedensszenarios auszuloten. Es ging nicht nur darum, dass die Waffen schweigen sollten. Es sollte auch die jahrzehntelange Unterdrückung der irischen Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse in Nordirland beendet und ein politischer Weg zur Wiedervereinigung Irlands geöffnet werden.

Die dominierenden Parteien der Friedensverhandlungen waren die britische und irische Regierung, die probritische, nordirische Ulster Unionist Party (UUP) und die SDLP, damals stärkste Partei in den irischen Vierteln Nordirlands. Sinn Féin wurde zu Beginn der Gespräche als »politischer Arm der IRA« von den anderen Parteien ausgegrenzt. Nur durch massivem Druck gelang es der Partei, zu den Verhandlungen zugelassen zu werden.

Das Abkommen bildete die Grundlage für eine demokratische Umgestaltung des verkrusteten und militarisierten Nordirlands, das die UUP von der Staatsgründung bis zum Beginn des bewaffneten Konflikts über fünfzig Jahre alleine regiert hatte. Menschenrechte und Bürgerrechte sollten eingehalten und politische Projekte nicht länger zensiert werden. Eine friedliche Wiedervereinigung wird im Karfreitagsabkommen garantiert, wenn eine Mehrheit der nordirischen Bevölkerung dafür stimmt.

Die 20 Jahre, die seither vergangen sind, kann man politisch als Kampf um die Umsetzung des Abkommens beschreiben. Sinn Féin führt ihn in den Institutionen und auf der Straße. Die Mobilisierung der Menschen für Bürgerrechte, für eine gerechte Aufarbeitung der Vergangenheit, aber auch für Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen und gegen die neoliberale Politik der Eliten machte Sinn Féin zur zweitstärksten Partei Nordirlands und zur aktuell stärksten Oppositionspartei im Süden der Insel. Auf der probritischen Seite steht ihr mit der Democratic Unionist Party (DUP) eine Partei gegenüber, in der sich die alte einstige Elite hinter protestantischem Fundamentalismus und rechtem Gedankengut verschanzt.

Die britische und die irische Regierung haben sich verpflichtet, gleichberechtigt die Umsetzung des Abkommens zu garantieren. Allerdings gingen sie ursprünglich davon aus, dass es die SDLP stärken und Sinn Féin in die Bedeutungslosigkeit drängen würde. Einer starken linken Kraft mehr demokratischen Spielraum zu verschaffen, liegt weder im Interesse der britischen noch der irischen Konservativen.

Der 20. Jahrestag des Karfreitagabkommens wird inmitten einer schon länger andauernden Regierungskrise in Nordirland begangen.  Im Januar 2017 zog der inzwischen verstorbene Martin McGuinness von Sinn Féin die Reißleine und brachte die Regionalregierung zu Fall. Seit Mai 2007 hatte er gemeinsam mit wechselnden DUP Vorsitzenden die nordirische Regionalregierung geleitet. Nun aber kamen zur Weigerung der DUP, Teile des Abkommens, wie zum Beispiel ein Gesetz zur Gleichberechtigung der irischen Sprache, umzusetzen, massive Korruptionsvorwürfe an die Adresse der DUP-Regierungschefin.

Die Diskussion um den Brexit verschärft das Problem, der zwanzigste Jahrestag des Abkommens richtet aber das Augenmerk der verschiedenen Parteien auf die Transformation Nordirlands  und auf das, was bereits erreicht wurde. Kaum jemand will die Erfolge und das gedeihliche miteinander auf der irischen Insel durch neue Grenzen aufs Spiel setzen. Sinn Féin wirbt für einen Sonderstatus Nordirlands, um nach dem Brexit gemeinsam mit der Republik Irland in der EU bleiben zu können. Parallel wirbt die Partei für eine breite gesellschaftliche Diskussion daüber, wie ein künftiges Vereinigtes Irland aussehen sollte.


Erstveröffentlichung: junge Welt vom 10.4.2018 weiterlesen >>