Politisch motiviert

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In Nordirland soll die Polizei zwei Morde aufklären und verfolgt stattdessen eine längst verschwundene IRA.

Zwei Morde im kleinen irischen Viertel Short Strand in Belfast sorgen derzeit weit über Irland hinaus für Schlagzeilen. Der Sozialarbeiter Gerard Davison war im Mai 2015 ermordet worden. Am 12. August wurde Kevin McGuigan vor seinem Haus erschossen. Er war von der nordirischen Polizei PSNI zuvor als Verdächtiger im Mordfall Davison vernommen worden. Davison und McGuigan waren ehemalige Aktivisten der Irish Republican Army (IRA), der bekannten Guerilla-Organisation der irisch-republikanischen Bewegung, die in Nordirland fast 30 Jahre lang gegen eine hochgerüstete britische Armee kämpfte. Vor zehn Jahren, am 28. Juli 2005, gab die IRA das Ende ihres bewaffneten Kampfes bekannt, vernichtete wenig später unter Anwesenheit internationaler Beobachter ihr Waffenarsenal und verschwand von der Bildfläche. Sie sah den nordirischen Friedensprozess als „alternativen Weg, … die britische Herrschaft in unserem Land zu beenden“ und wies ihre Volunteers (Freiwilligen, so nannten sich die Mitglieder der IRA) an, „die Entwicklung von rein politischen und demokratischen Initiativen durch ausschließlich friedliche Mittel zu unterstützen. IRA-Aktivisten dürfen sich an keinen andersgearteten Aktionen beteiligen.“

Polizei beschuldigt IRA

Am vergangenen Donnerstag beschuldigte die PSNI in einer Pressekonferenz die Gruppe „Action against Drugs (AAD)“, eine selbsternannte Anti-Drogen-Bürgerwehr, Kevin McGuigan ermordet zu haben. Bis dahin hätte die Meldung kaum breitere Beachtung gefunden. Der Polizeisprecher ergänzte jedoch, dass einige Mitglieder dieser Bürgerwehr „der IRA angehörten oder angehören“, die AAD aber „eine separate Organisation“ sei. Er implizierte so ein Fortbestehen der vor zehn Jahren aufgelösten IRA. Die britische Nordirlandministerin bestätigte kurz darauf ihre Übereinstimmung mit der Sicht der Polizei. Damit gaben beide den Morden eine ganz neue politische Brisanz. Das ermöglichte den pro-britischen Parteien in Nordirland und den konservativen Parteien in der Republik Irland, alte Schemen der politischen Diffamierung wiederzubeleben, die beiden irisch-republikanischen Organisationen, die gesamtirische Linkspartei Sinn Féin (SF) und die IRA gleichzusetzen und damit SF quasi automatisch in die Nähe des Mordes an McGuigan zu rücken. Hintergrund ist ihre Angst vor der Stärke von Sinn Féin, die gegen die neoliberale Austeritätspolitik, für eine gleichberechtigte Gesellschaft und ein vereinigtes Irland eintritt. Bereits jetzt stellt SF im nordirischen Regionalparlament als zweitstärkste Partei den stellvertretenden Regierungschef und im Süden Irlands ist sie stärkste Oppositionspartei. Im nächsten Jahr könnte die Partei die Wahlen im Süden wie im Norden Irlands gewinnen. In der Republik Irland könnte sie in der Lage sein, eine linke Regierungskoalition zu bilden, die die von der EU verordnete Austeritätspolitik beendet.

Politische Instrumentalisierung des Mordes „opportunistisch und zynisch“

In Nordirland weigert sich Sinn Féin seit zwei Jahren, die von der britischen Regierung vorgegebenen Kürzungen im Sozialbereich umzusetzen. Sie fordert von den pro-britischen Parteien die gemeinsame Gegenwehr gegen die dramatischen Kürzungen im Sozialbereich, die gerade in der nordirischen Gesellschaft mit vielen vom Konflikt traumatisierten Menschen und hoher Arbeitslosigkeit verheerende Folgen hätte. Die pro-britische DUP, die mit Peter Robinson den nordirischen Regierungschef stellt, steht politisch auf der Seite der britischen Konservativen, fürchtet aber bei einer offen anti-sozialen Politik um seine Mehrheiten in den pro-britischen Arbeitervierteln. Wie gut passt es da, dass die Polizei die längst verschwundene IRA wieder ins Spiel bringt. Peter Robinson forderte auch prompt den Ausschluss von Sinn Féin aus dem Regionalparlament, sollte sich die Existenz der IRA bestätigen. „Die IRA gibt es nicht mehr“, konterte der Sinn Féin Präsident Gerry Adams. Wer immer für die beiden Morde verantwortlich sei, sei kriminell und müsse zur Verantwortung gezogen werden. Er verurteilte „die Medienkampagne und die Spekulationen“ und stellte klar, dass seine Partei „ihr Mandat, ihre Rechte und Ansprüche“ von ihren Wählern erhalten habe. Er nannte die Versuche, den Mord an Kevin McGuigan zu benutzen, um Sinn Féin politisch zu schwächen, „opportunistisch und zynisch“.


Foto (Uschi Grandel, West Belfast Festival, 5. August 2015): Der nordirische Polizeichef George Hamilton (vorne rechts) zum ersten Mal zu Gast im irisch-republikanischen West Belfast. Im Gespräch mit dem stellvertretenden nordirischen Regierungschef Martin McGuinness (vorne links) von Sinn Féin über die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Erklärung der IRA zum Ende ihres bewaffneten Kampfes (28.7.2005): weiterlesen >>