„Um diese Zeit wurden junge Protestanten, mit denen Laurence aufgewachsen war, ins Ulster Defence Regiment (UDR) rekrutiert. ‚Im Alter von 15 oder 16 Jahren wurden meine Freunde und ich von diesen Rekruten angehalten, die im ländlichen Antrim eigentlich Nachbarn waren. Am Anfang war es ihnen peinlich, uns nach unseren Namen zu fragen und wo wir hingingen. Sie kannten unsere Namen, sie sind neben uns aufgewachsen. Sie wussten genau, wer wir waren. Ein Muster wurde langsam sichtbar, als unsere früheren Bekannten uns aus dem Auto befohlen und uns gegen die Wand stellten. Es ging nicht um Religion. Es ging darum, dass eine Seite bewaffnet war und die andere nicht.‘ Diese Erfahrung war ein Wendepunkt im Leben von Laurence. Im Alter von 16 Jahren wurde er in der republikanischen Bewegung aktiv.“
Diese Woche vor 25 Jahren starb Bobby Sands nach 66 Tagen Hungerstreik. Auch Laurence McKeown war einer der Hungerstreiker von 1981, 70 Tage ohne Essen. Er redet mit Ella O’Dwyer von An Phobacht über seine persönliche Geschichte, seine Erfahrungen im Gefängnis, sein Eindruck von Bobby Sands und die Spuren, die die Erfahrung des nahen Todes in so jungen Jahren hinterließ.
„Ich wurde in Randalstown, einem Dorf in Antrim geboren. Das war eine ländliche Gegend, ohne fliessendes Wasser und Elektrizität, typisch für die damalige Zeit. Wir waren eine relativ unpolitische Familie. Meine Eltern waren ruhige, anspruchslose Leute, die in einem gemischten Viertel aus Protestanten und Katholiken wohnten, die sich alle kannten und sich mit dem Vornamen ansprachen.“
1969 war Laurence 12 Jahre alt: „Bernadette Devlin, John Hume und andere waren regelmässig im Fernsehen. Wie viele andere seiner Generation war mein Vater von der Bürgerrechtsbewegung begeistert. Sie traf einen Nerv. Es war eine Zeit schwerer Diskriminierung, am offensichtlichsten beim Thema Wohnen. Mein Vater und ein protestantischer Nachbar, mit dem er zusammenarbeitete, hatten beim lokalen Gemeindeamt identische Bauanträge vorgelegt. Der meines Vaters wurde abgelehnt, der des Protestanten bewilligt.“ Um diese Zeit wurden junge Protestanten, mit denen Laurence aufgewachsen war, ins Ulster Defence Regiment (UDR) rekrutiert.
‚Im Alter von 15 oder 16 Jahren wurden meine Freunde und ich von diesen Rekruten angehalten, die im ländlichen Antrim eigentlich Nachbarn waren. Am Anfang war es ihnen peinlich, uns nach unseren Namen zu fragen und wo wir hingingen. Sie kannten unsere Namen, sie sind neben uns aufgewachsen. Sie wussten genau, wer wir waren. Ein Muster wurde langsam sichtbar, als unsere früheren Bekannten uns aus dem Auto befohlen und uns gegen die Wand stellten. Es ging nicht um Religion. Es ging darum, dass eine Seite bewaffnet war und die andere nicht.‘
Diese Erfahrung war ein Wendepunkt im Leben von Laurence. Im Alter von 16 Jahren wurde er in der republikanischen Bewegung aktiv. „Am 2. August 1976 wurde ich verhaftet und in das Castlereigh Untersuchungsgefängnis gebracht. Das war die Zeit, als Ulsterisierung, Kriminalisierung und Normalisierung Politik der herrschenden Labour-Regierung waren; eine Zeit, in der die Machtbefugnisse zur Verhaftung und zur Inhaftierung ausgeweitet und die Diplock-Gerichte ohne Schöffen eingeführt wurden. (Dies war der Versuch der britischen Regierung, die Lage in Nordirland ‚Ulster‘ als normal zu bezeichnen, in der lediglich kriminelle Terroristen den Frieden stören. Britische Soldaten sollten mehr aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwinden und im Hintergrund aktiv sein und eingeborene Polizisten eine aktivere militärische Rolle übernehmen.) Bei den Verhören hatte die Polizei freie Hand. Leute konnten auf Grundlage von mündlichen oder schriftlichen Aussagen zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Ich war schlecht vorbereitet auf das, was mich in Castlereigh erwartete.“ Die physische und psychische Folter, die die erleiden mussten, die in Castlereigh festgehalten wurden, ist gut dokumentiert. „Die Unsicherheit, das Unbekannte und das Warten“ und die unvermeidliche Brutalität. Ob durch physischen oder psychischen Druck, das Verhörteam wollte Ergebnisse. Nach drei Tagen in Castlereigh wurde McKeown des versuchten Mordes an einem RUC-Polizisten und der Herbeiführung von Explosionen angeklagt. Er wurde dann ins Crumlin Road Gefängnis in Belfast gebracht und nach seiner Verurteilung in die H-Blocks des Gefängnisses Long Kesh. Er war in einem Diplock Verfahren ohne Schöffen zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Zu dieser Zeit ging es anderen Republikanern genauso, etliche würden sich später am Hungerstreik beteiligen, Leute wie Bobby Sands, Tom McElwee, Joe Mc Donnell und Kieran Doherty. Ich fragte ihn, wie er sich damals gefühlt habe. Er erinnert sich an die Atmosphere im Gerichtssaal: „Das schlimmste war, dass meine Mutter dabei war. Der Richter fragte, ob jemand etwas zugunsten des Angeklagten auszusagen habe. Ich hörte diese Frauenstimme, die Stimme meiner Mutter, die sagte ‚Er ist mein Sohn.'“ Erst 1978 sah er sie wieder.
Die Ankunft von McKeown in den H-Blocks im Alter von 19 Jahren war genauso verwirrend und grausam wie die Zeit des Verhörs. Wiederum die Begegnung mit der „Unsicherheit, dem Unbekannten“ und die unvermeidliche Zeit des Wartens. Wie Kieran Nugent wurde er ein „Blanket-Mann“ (nur mit dem ‚Blanket‘, einem Handtuch, bekleidet, da er das Tragen von Gefängniskleidung verweigerte. „Kieran war vermutlich der ideale Mann, um den Protest zu starten. Er war … nicht ein harter Kerl oder ein Macho, aber prinzipientreu.“ Anstatt in den Protestblock H5 eingewiesen zu werden, wurde McKeown ganz alleine in einen anderen Block gesteckt. Einfach deshalb, wie er später feststellte, weil der Protestblock bereits voll von Blanket-Männern war. Mehr und mehr Leute schlossen sich dem Protest an. Es war eine „einsame Zeit“ als alleiniger protestierender Gefangener in H2. Er wurde in den Eingangsbereich des Gefängnisbereichs gebracht und erhielt den Befehl, seine Kleider auszuziehen. Als er alles bis auf die Unterhose auszog, schrie ihn der Wärter an: „Ich habe verdammt noch mal ‚alles ausziehen‘ gesagt.“ „Die ersten Tage waren die schlimmsten. Ich war nackt und wusste nicht, warum ich nicht in dem anderen Bereich H5 bei den anderen Gefangenen, die am Protest teilnahmen, war“ – wiederum die Unsicherheit, das Unbekannte und das Warten. „Warten darauf, geschlagen zu werden, war das Schlimmste. Es war jedesmal eine Art von Erleichterung, wenn es vorbei war.“ Bibeln sind obligatorische Gegenstände in britischen Gefängnissen. Bei der Ankunft in seiner H-Block-Zelle sah Laurence die unvermeidbare Bibel auf dem Nachttisch. „Ich öffnete das Buch ganz planlos und erwischte eine Stelle aus dem Buch von Sirach. Es stand dort, dass ‚Gold in der Feuerglut getestet werden muss‘. Ich habe das als Omen genommen.“
Unser Interview führten wir im kleinen Garten vor Laurence McKeown’s Haus durch. Wie der Zufall so spielt, kam eine Gruppe von Bibelenthusiasten aus der Nachbarschaft vorbei und wollten über die Bibel reden. Wir lehnten ab, aber der Vorfall brachte Laurence McKeown die Erinnerung an eine Szene aus den Blocks zurück. Das Phantom der ‚Gefängnisbesucher‘ fiel ihm wieder ein. Gefängnisbesucher, ganz wie die Bibelfreunde, arbeiteten in Teams von typischerweise gutmeinenden, ahnungslosen Leuten mit wenig Verständnis für die Realität und viel freier Zeit. Er beschreibt, wie diese Gefängnisbesucher eines Tages die Zelle eines Blanket-Mannes besuchten: eine Frau kam in eine Zelle, die „voller Scheisse, verrottetem Essen und Maden“ war. Die Botschafterin Gottes fragte nicht, wie es ihm ging, wie es der Familie geht oder wie er in solch schrecklichen Zuständen überleben konnte. ‚Wo ist Ihre Bibel,‘ war das einzige, was sie wissen wollte. ‚Ich hab sie aus dem Fenster geschmissen,‘ antwortete der junge Mann. In späteren Jahren war die Rolle der Kirche während des Hungerstreiks, gezielt die Familien anzugehen, und sie zur Gegnerschaft gegen den Hungerstreik zu bringen.
Es ist klar, dass Laurence McKeown’s Auseinandersetzung mit dem Tod während des Hungerstreiks Teil einer Reise war, sich selbst bewusst zu werden, eine Reise, die weit vor dem Hungerstreik begann und durch das Fliessband von Castlereigh, Crumlin und dann die Blocks ging (Fliessband, so wurde die „fliessbandartige Abfertigung“ aus Verhaftungen – Folter – Unterschrift unter eine Aussage – Verurteilung im Diplock-Schnellgericht genannt). Der „Blanket“-Protest war für die protestierenden Gefangenen eine tiefe und verbindende Zeitperiode. Im März 1978 waren einige hundert Gefangene Blanket-Männer. Demütigende Leibesvisitationen, Beleidigungen und Schläge waren an der Tagesordnung. „Wir wurden übel zusammengeschlagen. Die dachten, sie könnten uns aus dem Protest prügeln. Es wurde uns nur zweimal die Woche erlaubt zu duschen und wir wurden daran gehindert, auf die Toilette zu gehen.“ Die Gefangenen entschieden sich, die Kooperation noch weitgehender zu verweigern. Das System reagierte mit Brutalität und in kürzester Zeit war die Lage in den „Nicht-Waschen“-Protest eskaliert. „Scheisse an der Wand, verrottendes Essen und Maden in den Ecken der Zellen“. Aber, typisch für politische Gefangene, gaben sie den schlimmen Verhältnissen zum Trotz nicht nach und forderten das System aktiv heraus. Bereits 1979 gab es viele Protest-Blöcke.
McKeown sah Bobby Sands das erste Mal in H6. Ich fragte ihn, was er für eine Person war. „Ich habe ihn das erste Mal gesehen. Davor bin ich ihm vielleicht ein bis zweimal über den Weg gelaufen. Es war eine harte Zeit. Aber H6 war grossartig, Jackie (Mc Mullan) war dort, Bobby Sands und andere. Man erwartet, dass Führungspersonen eines solchen Kalibers irgendwie spektakulär und charismatisch sind. Ich erinnere mich, dass ich ihn für sehr charismatisch gehalten habe, kreativ und all das, aber Bobby war auch einer der Jungs, einer von uns. Bobby hat die historische Bedeutung dieser Zeit verstanden. Es gab politische Lehrveranstaltungen, die die verschiedenen IRA-Kampagnen, Spaltungen, die Bürgerrechtsbewegung und vieles mehr kritisch untersuchten. Es war eine Zeit der Politisierung. Wir haben gelernt zu denken, nachzufragen und Dinge durch Diskussion zu reflektieren.“ Die Blanket-Männer und die Hungerstreiker verlangten menschenwürdige Behandlung und Behandlung als politische Gefangene. Dieses Ziel wurde in 5 Forderungen zusammengefasst, sie waren entscheidend für die Zukunft des revolutionären Prozesses in Irland. Die Gefangenen kriminalisieren hiess, den Konflikt zu kriminalisieren, politischen Status zuzugestehen hiess, zuzugeben, dass ein Krieg stattfand. 1980 waren die republikanischen Gefangenen überzeugt, dass ein Hungerstreik unvermeidlich war. „Die Idee des Hungerstreiks schlummerte immer im Hinterkopf. Während des Papstbesuchs in 1979 wurde die Idee eines Hungerstreiks überlegt.“ Die Idee war, dass die Kirche sich mit der Scheinheiligkeit auseinandersetzen müsse, solche Zustände der Brutalität und des Unrechts zu tolerieren.
Brendan ‚der Dunkle’Hughes und Bobby hatten diese Idee diskutiert und der Bewegung draussen vorgeschlagen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde der Vorschlag mit der logischen Begründung abgelehnt, es gäbe nicht genügend Mobilisierung draussen. Man brauche mehr Zeit. In Kürze wurden nationale H-Block-Komitees gebildet und die Zeit war im Jahre 1980 reif.“ Nach dem Ende des 1980er Hungerstreiks, als die Briten die fünf Forderungen (trotz einer Vereinbarung) nicht erfüllten, verstanden Leute wie Bobby Sands, dass das nächste Mal Leute sterben würden. Auf die Frage, wie er sich am Ende des ersten Hungerstreiks und vor dem Beginn des zweiten gefühlt habe, spricht McKeown von einem Gefühl der Erleichterung. Sie taten wieder etwas. Die Gefangenen hatten sich daran gewöhnt, abzuwarten, immer darauf zu warten, dass etwas passiere. Dazusitzen mit „der Unsicherheit, dem Unbekannten und dem Warten“. Es gab Hoffnung, als Bobby zum Abgeordneten (des britischen Unterhauses) für Fermanagh/South Tyrone gewählt wurde. Diese Hoffnung wurde schnell zerschlagen, als Thatcher die Gesetze so änderte, dass künftig kein weiterer politischer Gefangener zu einer Wahl kandidieren konnte.“
Am 1. März 1981 begann Bobby Sands einen Hungerstreik bis zum Tod, eine Selbstverpflichtung, die er und andere wie auch McKeown schon im 1980er Hungerstreik eigegangen waren. Bobby Sands war bereits 24 Stunden tot, bevor die Nachricht den Zellentrakt erreichte, in dem McKeown einsass. „Vater Toner kam am morgen in die Zelle des Dunklen (Brendan Hughes). Der Dunkle ging zur tür und rief ‚Bobby ist tot.‘ Es war keine aggressive Zeit. Es war mehr eine Frage, wer die Lücke nach Bobby füllt. Selbst viele Wärtner waren ruhig, vielleicht haben selbst sie realisiert, dass sie etwas Grosses miterleben. Der Zellentrakt war ruhig, die Atmosphere gedämpft, sogar bei den Wärtnern.“ Joe McDonnell hielt 61 Tage durch, andere überlebten nur für eine kürzere Zeit. „Mickey Devine ging vor mir in den Hungerstreik.“ Devine war der letzte der ’10 Männer‘, die starben.
Es sah aus, als ob auch Laurence McKeown’s Zeit abgelaufen wäre. Im Gefängniskrankenhaus erinnert er sich an die unterschiedlichen Charaktere des Gefängniskrankenhauspersonals. „Manche haben Dir noch die kleinen Rationen an Tabak, die im Krankenhaus erlaubt waren, geklaut. Andere Mediziner waren sehr sachlich, aber nicht brutal. Einige haben ein grausames Ende gefunden, haben sich das Leben genommen oder sind betrunken in Autounfällen gestorben.“ Nach 70 Tagen im Hungerstreik hat dieselbe mutige Frau, die im Diplock-Gerichtssaal zu ihrem Sohn gestanden hatte, den Hungerstreik beendet. Er erinnert sich an ihre Worte, als er ins Koma fiel: „Du hast getan, was Du tun musstest. Ich tue jetzt, was ich tun muss.“ Die Familie stand unter dem Einfluss der Anti-Hungerstreik-Lobbyisten – der Kirche und einiger gut meinender aber schlecht beratener Nachbarn. Glücklicherweise hatten Laurence McKeown und seine Mutter noch zwei Jahre an Gefängnisbesuchen, bevor seine Mutter starb. Die schüchterne Frau, die den Mut hatte, zu rufen „Er ist mein Sohn.“
Übersetzung: Uschi Grandel – http://info-nordirland.de/ – 8. Mai 2006 (Anmerkungen der Übersetzerin in Klammern)