Verstrickung in mehr als 120 Mordfälle

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Völlig inakzeptables Schweigen der britischen Regierung.

Der Oberste Gerichtshof in Belfast genehmigte letzte Woche die Überprüfung von über 120 Mordfällen aus der Zeit des Nordirlandkonflikts. Die Familien der über 120 Opfer loyalistischer (pro-britischer) Gewalt hatten einen Antrag auf eine rechtliche Überprüfung des Versagens des britischen Staates gestellt, den Familien Ergebnisse zu präsentieren.

„Die Staatsanwaltschaft (verzichtete) auf Widerspruch gegen unseren Antrag“, erklärten die Menschenrechtsorganisationen Pat Finucane Centre, Justice for the Forgotten und ihre Rechtsanwälte von KRW Law nach der positiven Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am 2. Februar 2015 in Belfast. Das sei nicht üblich und deshalb signifikant.

Details in jahrelanger Recherchearbeit zusammengetragen

Angehörige der heutigen Kläger kamen zwischen 1972 und 1976 durch Bombenanschläge ums Leben oder wurden erschossen. Verantwortlich war die sogenannte „Glenanne Gang“, in der loyalistische Paramilitärs und mindestens 25 ehemalige oder im Dienst befindliche Polizisten der nordirischen Polizei, bzw. Soldaten des nordirischen Regiments UDR (Ulster Defense Regiment) gemeinsam mordeten. Die Todesschwadronen der Gang operierten in den südlichen nordirischen Grafschaften Armagh, Tyrone und Down, und auf der anderen Seite der Grenze in der Republik Irland. Dort verübten sie u.a. Anschläge in Louth und Massaker in Dublin und Monaghan.

Details der jahrelangen Mordkampagne finden sich in dem Buch „Lethal Allies (Tödliche Verbündete)“, das die Journalistin Anne Cadwallader, die seit einigen Jahren für die nordirische Menschenrechtsorganisation Pat Finucane Centre (PFC) arbeitet, im Jahr 2013 veröffentlichte. Es beruht auf Untersuchungsergebnissen des HET (Historical Inquiry Team, Historisches Untersuchungsteam der nordirischen Polizei) und auf nach 30 Jahren freigegebenen Dokumenten britischer und irischer Staatsarchive, die das PFC in mühevoller Archivarbeit recherchiert hat. Die in Sachen Glenanne Gang ermittelnde HET-Einheit hatte bewusst keine nordirischen Polizisten in ihren Reihen. Als sie vorzeitig aufgelöst wurde, waren die Ermittlungen bereits zu 80% abgeschlossen. Man erlaubte ihnen jedoch nicht, ihre Arbeit zu beenden.

Verstrickung britischer Stellen in über tausend Morde vermutet

Die Familien sind sich auf Grund der Vielzahl an zusammengetragenen Fakten sicher, dass die Morde, die das Buch „Lethal Allies“ nachverfolgt, in Kooperation und mit dem Wissen höchster britischer Führungskreise begangen wurden. Hochrangige Polizeioffiziere und führende Vertreter der britischen Regierung hätten ihr Wissen um die Morde und die Täter dann systematisch verschleiert.

Die Morde der Glenanne Gang sind nicht der einzige Fall von Collusion, wie man in Nordirland die systematische Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit pro-britischen Todesschwadronen nennt. Experten schätzen die Zahl dieser Morde auf über Eintausend. Sehr oft waren es unbeteiligte Zivilisten aus Gegenden mit überwiegend irischer, bzw. irisch-katholischer Bevölkerung.

Das Gericht hat zwei Tage, den 7.-8. Mai 2015, für die Anhörung der Fälle angesetzt. Die Familien erwarten eine unabhängige Untersuchung mit einem Ergebnisbericht, so wie es ihnen bereits vom HET versprochen worden war. Alan Brecknell vom PFC, dessen Vater Trevor in Silverbridge in South Armagh, im Dezember 1975 ermordet wurde, nannte die erfolgreiche Klage „einen weiteren Schritt auf dem langen Weg der Wahrheitsfindung und der staatlichen Anerkennung der eigenen Schuld“.

Schweigen ist völlig inakzeptabel

Die PFC-Mitarbeiterin und Journalistin Anne Cadwallader erklärt, die Familien hätten „nicht nur den Tod ihrer Lieben, sondern auch fürchterliches Unrecht“ erlitten. „Ihnen wurden dreieinhalb Jahrzehnte lang Lügen erzählt. Die Zeit für die Wahrheit wird kommen – je früher, je besser.“ In ihrem Antrag auf rechtliche Überprüfung erklären die Kläger, die britische Regierung habe kontinuierlich den Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Recht auf Leben, gebrochen. Bis heute hat die britische Regierung zu der in „Lethal Allies“ beschriebenen Ermordung von über 120 am Konflikt unbeteiligten Zivilisten und der Beteiligung des britischen Staates an diesen Morden und an der anschließenden Verhinderung der Aufklärung keine Stellung genommen.

„Das Schweigen ist völlig inakzeptabel“, erklärt Paul O’Connor im Namen der beteiligten Familien und Organisationen. Viele der Familien haben Klagen gegen den nordirischen Polizeichef oder die britische Armee angestrengt. Diese Klagen laufen unabhängig weiter.


Quelle: Presseerklärung des Pat Finucane Centre / Info Nordirland

Foto: Parnell Street in Dublin 1974 nach dem Bombenanschlag. Siehe Webseite der Angehörigen der Opfer der Bombenanschläge auf Dublin und Monaghan >>

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