Ronan Bennett: Im britischen Märchenland

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Der Schriftsteller und Filmemacher Ronan Bennett nimmt Stellung zum Nordirlandkonflikt: „Sinn Féin als die widerstrebende Partei im Friedensprozess zu porträtieren, ist eine Erfindung, von der die irischen Wähler sich nicht täuschen lassen.“

Verdient Sinn Féin nicht Respekt für die ausserordentliche Entwicklung, die im Norden Irlands über die letzten 15 Jahre stattgefunden hat? Folgt man (dem ehemaligen britischen Nordirlandminister) Peter Mandelson in seiner Bewertung der Handhabe des Friedensprozesses durch den (britischen) Premierminister (Tony Blair), könnte man meinen, die britische Regierung hatte eine störrische, republikanische Führung gegen ihren Willen zum Verhandlungstisch zu schleppen. An Bord konnte sie nur gehalten werden, weil die britische Regierung kontinuierlich vor republikanischen Forderungen kapitulierte.

Der ehemalige Nordirlandminister (Mandelson) hat keine bedeutende Rolle in der irischen Politik mehr gespielt, seitdem ihn die Hinduja-Affaire im Jahre 2001 zum Rücktritt zwang. Seine (unerwartete) Stellungnahme zu den Wahlen 2007, in der er Republikaner als die widerstrebende Partei im Friedensprozess porträtierte, wurde von den britischen Medien begierig aufgenommen. Mit dieser Darstellung verfälscht er nicht nur die Geschichte, sondern er trägt auch dazu bei, im Vorfeld der Deadline 26. März für die Bildung einer Allparteienregierung eine Atmosphäre von Misstrauen und Argwohn zu schaffen. Allein aus diesem Grund ist es wichtig, die Fakten klarzustellen.

Britische Regierung lehnte 1992 Hume-Adams Friedensinitiative ab

Der Friedensprozess begann nicht erst mit der Wahl Tony Blairs zum britischen Premierminister, er ist ein Jahrzehnt älter. Es schmälert nicht die Anerkennung, die Blair’s Engagement für eine Lösung verdient, sich in Erinnerung zu rufen, dass bereits 1988 (der Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin ) Gerry Adams und John Hume, der ehemalige Parteichef der irisch-nationalistischen SDLP, eine Reihe an privaten Diskussionen begannen. Sie versuchten, eine gemeinsame Strategie zu finden, um die Waffen aus der irischen Politik zu entfernen, „to take the gun out of Irish politics“. („to take the gun out of Irish politics“ bezeichnet die Versuche, den bewaffneten Konflikt durch politische Lösungen zu ersetzen. Über Jahrhunderte scheiterten Initiativen, auf politischem Weg Selbstbestimmung und Gleichberechtigung zu erlangen, immer wieder.)

Das Ergebnis der Gespräche wurde im Jahr 1992 als Hume-Adams Dokument veröffentlicht. Es wurde jedoch nicht als vielversprechende Chance begrüßt. Statt dessen traf es auf Feindseligkeit. Hume, der später einer der beiden Friedensnobelpreisträger wurde, war verletzt und reagierte mit Unverständnis. Er, der sich wie Gandhi zur Gewaltlosigkeit bekannte, wurde plötzlich beschuldigt, ein Handlanger der IRA zu sein oder gar ein kompletter Schurke. Die (pro-britischen) Unionisten beschimpften ihn, seine britischen Verbündeten in der Labour Party verliessen ihn. Die Botschaft der britischen Regierung unter dem damaligen Premier John Major war klar: es könne keine Verhandlungen mit „den Männern der Gewalt“ geben, nur mehr Krieg, mehr Tote, mehr Elend. Wenn es dem Feind mit Frieden ernst sei, solle er kapitulieren. Major mag sich dabei sehr stark gefühlt haben, aber als Friedensstrategie taugt diese Haltung nicht.

Man hätte es der republikanischen Führung nachsehen können, wenn sie nach Auswertung der Hume-Adams Initiative in die alte Haltung zurückgefallen wäre, dass (irische) Nationalisten im Norden Irlands noch nie etwas auf politischem Wege erreicht haben. Es hätte leicht das Signal sein können, der militärischen Tradition wieder die Führung zu überlassen. Statt dessen lies sich die IRA nicht abschrecken und verkündete am 23. Dezember 1993 einen 3-tägigen Waffenstillstand.

Seine Intention war zu zeigen, dass die IRA die Disziplin und die Geschlossenheit hatte, einen Waffenstillstand zu halten und dass die republikanische Führung ernsthaft eine Einigung wollte. Die Reaktion auf den Waffenstillstand über Weihnachten war so wütend, dass Adams sich laut wunderte, ob die IRA etwa eine Intensivierung ihres Krieges angekündigt hatte. Die Botschaft war dieselbe: Frieden nur zu britisch/unionistischen Bedingungen.

Lehren aus der Geschichte?

Als die IRA am 31. August 1994 ein „vollständiges Ende aller militärischen Operationen“ verkündete, war die Reaktion nicht weniger feindselig. Speziell Adams wurde mit andauernder und bösartiger Kritik überhäuft, auch in dieser Zeitung. Gerry Adams sei „ein Sarg-Füller, der sich strategisch dazu entschieden habe, nicht länger Särge zu füllen“, schrieb Edward Pearce im Jahre 1994. „Selbst wenn er Frieden wollte, suggerieren seine Worte und Aktionen einen Mann, der weder das Selbstvertrauen noch den Mut hat, Dinge voranzubringen“, behauptete ein Observer-Editorial desselben Jahres. Etwas später sinnierte Roy Hattersley im Guardian, dass „Gerry Adams Teil der Troubles ist … Wenn wir ihn behandeln, als ob er unerlässlich für eine dauerhafte Einigung sei, glorifizieren wir Unbeweglichkeit, religiösen Fanatismus und Extremismus.“ Es war, als ob sich gegenüber dem letzten Jahr nichts geändert hätte, als zum Beispiel der Sunday Telegraph erklärte, Gerry Adams sei „einer der … schlimmsten Friedensfeinde in Irlands blutgetränkter Geschichte“.

Betrachtet man die Zitate im Licht der späteren Entwicklung, welche Lehren ziehen wir daraus? Lassen wir mal ausser Betracht, dass die Zitate nun die Vorurteile und falschen Einschätzungen ihrer Schreiber blossstellen. Wichtiger ist etwas anderes: sie haben denselben Tenor, der sich auch durch Mandelson’s Interview zieht: dass die britische Regierung eine geduldige und vernünftige Instanz ist, die in dieser ganzen üblen Geschichte keine eigenen Interessen vertritt und ständig ausgenutzt wird.

Das Land der Märchen, Feen und Kobolde

In dieser selbstzufriedenen, arroganten und sich ausklammernden Sichtweise kann die britische Regierung das Märchen aufrechterhalten, das der Konflikt aus dem Nichts entstand, dass die irisch-nationalistische Community niemals echte Missstände zu erdulden hatte, dass der ganze Konflikt – um die Berichterstattung von Jeremy Paxman zu den aktuellen Wahlen zu zitieren – „tribal“, (also eine Art Stammeskonflikt aus unzivilisierter Vergangenheit) und damit irrational und nicht politisch sei. Oder wie der ehemalige Abgeordnete der Tories, Edward du Cann es formulierte: „Für die Engländer ist es nicht möglich, (die Iren) zu verstehen – warum sie sich gegenseitig bekämpfen, warum ihren Reden die Logik so völlig fehlt. Es gibt keine Realität in Irland. Es ist das Land der Märchen, Feen und Kobolde“.

Mandelson’s Irland mag von „verdammt harten“ Leuten bewohnt sein, aber wie Du Cann propagiert er diesen selbst-entschuldigenden Mythos, der es sowohl der Labour Regierung, wie auch der konservativen Vorgänger-Regierung ermöglichte, eine Seite zu unterstützen – die unionistische – einen Krieg gegen die Republikaner zu führen und sich trotzdem selbst als unparteiisch darzustellen.

Die Wähler erkennen an, dass die republikanische Führung den Friedensprozess vorantrieb

Die Wahl (zur Regionalregierung) vom 7. März brachte Sinn Féin ihren grössten Wahlsieg seit der Spaltung Irlands (durch britisches Gesetz im Jahre 1920). Diese Lektion haben Mandelson und diejenigen, die so zustimmend zu seinem Interview nickten, noch zu lernen: der Erfolg der Partei beruht auf der Anerkennung der Wähler, dass die republikanische Führung den Friedensprozess vorantrieb, während die britische Regierung und die Unionisten gezeigt haben – und im Fall von Ian Paisley’s Democratic Unionist Party weiterhin zeigen – dass sie im Streben nach einer Einigung zögerten und zauderten.


Erstveröffentlichung (in englischer Sprache): The Guardian, 17. März 2007, Ronan Bennett ist Schriftsteller und Filmemacher. Sein letzter Roman „Zugzwang“ wurde im Juli 2006 bei Bloomsbury veröffentlicht. Profil von Ronan Bennett (im Guardian): weiterlesen >>

Übersetzung: Uschi Grandel, 18. März 2007 (Erläuterungen in Klammern)