In Nordirland wird immer noch entlang der Konfliktlinien gewählt.
Regionalwahlen in Nordirland sind immer noch etwas Besonderes. Denn das nordirische Regionalparlament in diesem nordöstlichen Zipfel Irlands mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern tagt erst wieder seit Mai 2007. Die Wahl am letzten Donnerstag war die dritte Wahl nach dem Ende des bewaffnet ausgetragenen Nordirlandkonflikts. Erst 1998 ebnete ein Friedensvertrag den Weg zur Gleichberechtigung der irischen Bevölkerung und zu neuer regionaler Selbstverwaltung. Die Regierung wird dabei anhand der Wahlergebnisse als Allparteienregierung gebildet. Die beiden in Nordirland dominierenden „Traditionen“, so der offizielle Sprachgebrauch für das pro-britische und das irische Lager, sind darin gleichberechtigt vertreten. Zu den pro-britischen Unionisten, die für die Beibehaltung der Union mit Großbritannien eintreten, gehören die einst mächtige, jetzt nur drittstärkste Partei Ulster Unionist Party (UUP), die Democratic Unionist Party (DUP), die mit Arlene Foster bisher die Regierungschefin stellte und die kleine Traditional Unionist Voice (TUV), die jede Zusammenarbeit mit den irischen Parteien ablehnt. Alle drei Parteien sind konservativ bis stramm rechts. Das irische Lager wird als „Irish Nationalists (irische Nationalisten)“ bezeichnet. Sie wollen die ihnen 1921 vom britischen Parlament aufgezwungene Union mit Großbritannien beenden. Größte Partei in diesem Lager ist die Linkspartei Sinn Féin (SF). Als irisch-republikanische Partei tritt Sinn Féin für ein vereinigtes Irland ein. Die Social Democratic and Labour Party (sozialdemokratische Arbeiterpartei, SDLP) spielt als viertstärkste Partei kaum noch eine Rolle.
Das Wahlergebnis könnte man in aller Kürze abhaken: es bleibt fast alles beim Alten. Die DUP bleibt mit 29,2 % der Stimmen und 38 Sitzen stärkste Partei. Damit heißt auch die neue Regierungschefin Arlene Foster. Es folgt SF mit 24% und 28 Sitzen, die SDLP und die UUP folgen in großem Abstand mit 12% (SDLP), bzw. 12,6% (UUP). Die einzige nicht rechts-konservative, sondern liberale pro-unionistische Partei, die Allianz Party, liegt bei 7%. Ein Blick auf die verschiedenen Wahlbezirke enthüllt, wie gespalten die nordirische Bevölkerung immer noch ist: im irisch-republikanischen West Belfast hat SF mit 54,5% die absolute Mehrheit und stellt 4 der 6 Abgeordneten, die der Bezirk ins Regionalparlament entsendet. In vier weiteren Wahlbezirken kam die Linkspartei auf über 40% der Stimmen. In den pro-britischen Hochburgen, wie z.B. Lagan Valley und Strangford, gingen auch dieses Mal alle Sitze an unionistische Parteien. In den ebenfalls pro-britisch dominierten Bezirken South- und North Antrim hat sich SF dagegen auf immerhin 13% hochgearbeitet.
Als eine der Folgen des Konflikts bestimmen die schlechte wirtschaftliche Lage und ihre sozialen Konsequenzen die politische Auseinandersetzung der letzten Jahre, ohne jedoch die Lager zu überwinden. Im Falle der im britischen Unterhaus beschlossenen Kürzungen im Sozialbereich, für deren Umsetzung das Regionalparlament zuständig ist, weigerte sich SF im Parlament, die anti-sozialen Vorgaben umzusetzen und trug den Protest gegen die Kürzungen auf die Straße. Sie brachte damit die DUP in eine Zwickmühle, weil ein Teil der DUP-Wähler ebenfalls von den Kürzungen betroffen ist, die DUP sich jedoch nicht von den Maßnahmen einer britischen Regierung distanzieren wollte. Schließlich kam es zu einem Kompromiss, bei dem die britische Regierung ein Zusatzbudget bewilligte. Ob die Auseinandersetzung etwas in den pro-britischen Arbeitervierteln bewegt hat, ist kurzfristig nicht erkennbar. Lebhaft wird die Diskussion um die richtige Anti-Austeritätspolitik innerhalb des linken Lagers geführt. Als Ergebnis gelang der linken People before Profit Allianz (PBPA) bei dieser Wahl zum ersten Mal der Einzug zweier Abgeordneter ins Regionalparlament. In West Belfast holte sie einen Sitz auf Kosten von SF und in Derry verlor die SDLP einen Sitz an die PBPA.
Erstveröffentlichung: junge Welt vom 9.5.2016 weiterlesen >>
Foto (Uschi Grandel, 24. April 2016): Hauptredner der Gedenkfeier von Sinn Fein am 24. April 2016 vor dem GPO in Dublin ist der stellvertretende nordirische Regierungschef Martin McGuinness. Sein Auftritt in Dublin unterstreicht die Forderung der Partei nach einem Vereinten Irland.