Ein Händedruck mit der englischen Königin

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Martin McGuinness, langjähriges Führungsmitglied der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin und  seit 2007 stellvertretender First Minister der nordirischen Regionalregierung trifft heute die englische Königin in Nordirland. Er ist damit das erste Führungsmitglied von Sinn Féin, das sich mit einer britischen Monarchin trifft. Das Medienecho ist enorm. Aber kaum ein Kommentar beschreibt die Hintergründe. Denn eigentlich geht es gar nicht um die Queen.

Martin McGuinness, langjähriges Führungsmitglied der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin trifft heute die englische Königin in Nordirland. Er ist damit das erste Führungsmitglied von Sinn Féin, das sich mit einer britischen Monarchin trifft. Das Medienecho ist enorm. Aber kaum ein Kommentar beschreibt die Hintergründe. Denn eigentlich geht es gar nicht um die Queen.

Die englische Königin bereist Nordirland aus Anlass ihres 60-jährigen Thronjubiläums. Sie trifft dort auf viele loyale und begeisterte Untertanen und auf viele Gegner, die Irland lieber heute als morgen frei von britischer Herrschaft sehen würden.

Das hat historische Gründe. Im Jahre 1920 hatte Großbritannien den nordöstlichen Zipfel Irlands abgespalten und zum Teil des Vereinigten Königreichs erklärt, um wenigstens den wirtschaftlich und militärisch bedeutenden Nordosten nicht an die irische Freiheitsbewegung zu verlieren. Seitdem herrscht die englische Königin über das „United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland – das Vereinigte Königreich aus Großbritannien und Nordirland“. Der nordirische Friedensprozess hat die weitere Zugehörigkeit Nordirlands zum Vereinigten Königreich vom Willen seiner Bevölkerung abhängig gemacht. Das entsprechende Abkommen, das sogenannte Karfreitagsabkommen, wurde 1998 auch von Großbritannien unterschrieben.

Die brutale Gewalt, mit der England über viele Jahrzehnte hinweg versuchte, seinen Herrschaftsanspruch über Nordirland aufrechtzuerhalten, machte immer wieder auch international Schlagzeilen. Der 30. Januar 1972 wurde als Bloody Sunday, als „Blutsonntag“, bekannt. an diesem Tag tötete britisches Militär 14 unbewaffnete Demonstranten in der nordirischen Stadt Derry. Nach einer jahrzehntelangen Kampagne der Familien der Opfer gegen die staatliche Mär vom Kampf gegen Terroristen musste Großbritannien die Wahrheit zu guter Letzt einräumen und der britische Premierminister David Cameron entschuldigte sich öffentlich.

Bei vielen anderen Massakern führen Spuren nach Großbritannien und direkt oder indirekt nach Downing Street 10, zum Sitz der britischen Regierung. So auch im Falle des Massakers in Loughinisland. Loyalisten stürmten in das Lokal und eröffneten Feuer auf die Anwesenden der Heights Bar in Loughinisland im nordirischen County Down, die an diesem 18. Juni 1994 das Worldcup-Spiel Irland-Italien ansahen, das im Giant’s Stadion in New York ausgetragen wurde. Sie töteten sechs Männer und verwundeten fünf weitere Besucher des Pubs schwer. Letzte Woche, am 18. Juni 2012 trug die irische Mannschaft im Spiel der Europameisterschaft Irland-Italien eine schwarze Armbinde, um an dieses unaufgeklärte Massaker vor genau 18 Jahren zu erinnern.

Als Loyalisten bezeichnet sich ein Teil der Bevölkerung Irlands, der sich aus historischen Gründen als loyal zur britischen Krone empfindet. Loyalisten waren vielfach (manche sind immer noch) fanatische Protestanten, deren Glauben und politische Einstellung sich zu blindem Hass auf alles irische und katholische verband. Die Oranier Orden erzeugten, lenkten und förderten diesen Hass und so kamen aus loyalistischen Vierteln über Jahrhunderte willige Todesschwadronen, die zur Verteidigung der englischen Krone ihre Landsleute ermordeten.

Man kennt diese Art von Hilfstruppen auch aus anderen Kolonialkonflikten. Das Prinzip „Spalte und herrsche“ dient nicht nur der Schwächung der Freiheitsbewegungen, sondern auch der Verschleierung der Ursachen des Konflikts. So schreibt die Süddeutsche Zeitung beispielsweise in ihrer heutigen Ausgabe unter dem Titel „Königsweg – Elisabeth II. reicht ehemaligem IRA-Führer die Hand“: „Der Handschlag zeugt also vom dramatischen Wandel in Nordirland. Seit dem Ende der 1960er Jahre tobt dort ein Bürgerkrieg zwischen katholischen Republikanern, die für eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland kämpften, und protestantischen, pro-britischen Loyalisten.“ (SZ vom 27.6.2012)

Der Krieg in Nordirland war kein Bürgerkrieg zwischen Republikanern und Loyalisten, sondern eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der irisch-republikanischen Bewegung mit der IRA als bewaffneter Organisation und dem britischen Staat mit seinem Militär, seiner Polizei, seinen Geheimdiensten, seinem Staatsapparat und auch den Loyalisten, deren paramilitärische Todesschwadronen von britischen Geheimdiensten mit Waffen und Informationen versorgt wurden. Oft legten britische Führungsoffiziere oder Agenten sogar das Mordopfer fest, wie zum Beispiel im Fall des ermordeten irischen Rechtsanwalts Pat Finucane.

Und warum nun der Handschlag?

Eigentlich geht es gar nicht um die Königin. Für die irisch-republikanische Bewegung ist eine der Hauptaufgaben auf dem Weg zu einer neuen gesamtirischen Gesellschaft die Demokratisierung Nordirlands, d.h. der Kampf um Bürgerrechte in einem ehemals militärisch bis an die Zähne hochgerüsteten Überwachungsstaat. Dazu gehört der Konfliktlösungsprozess und der Kampf um die loyalistische (und unionistische) Bevölkerung.

In einem Interview, das auf Info Nordirland in deutscher Übersetzung vorliegt, erklärt Sinn Féin Präsident Gerry Adams das Treffen von Martin McGuinness mit der englischen Königin in diesem Zusammenhang:

wir „… bemühen uns um demokratische Verhältnisse (in Nordirland), eine unabdingbare Grundlage für ein Ende der Teilung Irlands, für ein vereinigtes Irland. Wir wollen einen bestimmten Typ eines vereinigten Irlands, eine Republik, in der alle Bürger gleich behandelt werden. Unionisten müssen wir für diese Konzepte gewinnen. Wir hören den Unionisten zu, wir reden mit ihnen, sie reden über ihr Verständnis von Identität. Wir müssen uns gegenseitig verstehen. Wir sind nicht viele, die Unionisten sind ein bedeutender Teil von uns. Ist es möglich, Ire und Unionist zu sein? Ist es möglich, Brite zu sein, und sich unter seinen Nachbarn trotzdem wohlzufühlen? Wir versuchen, auf sie zuzugehen.

Hier haben wir nun Martin McGuinnes. Er ist ganz klar ein überzeugter, langjähriger Republikaner, klar in seiner Haltung gegen die Teilung Irlands. Er kämpfte sein Leben lang im Widerstand. Und er ist bereit, jemandem, den wir nicht als Oberhaupt unseres Staates akzeptieren, aber den einige unserer unionistischen Nachbarn als solches akzeptieren, – im Kontext von alledem – die Hand zu reichen. Damit ist das eine Geste, symbolisch, die etwas Raum schafft und zeigt, dass wir ernsthaft tun, was wir über Konfliktlösung sagen, über den Aufbau unserer Nation, über den ganzen Prozess der nationalen Versöhnung. Ohne diesen Versöhnungsprozess, der die Menschen zusammenbringt, ist Einheit ist unmöglich.

Deshalb ist das eine sehr bedeutende Initiative and ich hoffe, dass sie die Entwicklung hin zu dem Tag beschleunigt, an dem sich Orange und Grün vereinen. Und ich rufe alle Sinn Féin Mitglieder und Aktivisten, sowie alle Republikaner auf, diese Initiative zu unterstützen. Jeder, der der Überzeugung ist, dass wir selbst unsere Zukunft gestalten müssen, sollte die Möglichkeiten nutzen, die sich aus dieser Initiative ergeben, um sich für eine bessere Gesellschaft zu engagieren. Denn alle Menschen auf dieser Insel verdienen eine bessere Gesellschaft als die, die wir gegenwärtig haben. (Orange und Grün: die zwei Farben der irischen Fahne werden oft als Ausdruck der beiden Traditionen interpretiert: „Orange“ steht für den Unionismus, „Green“ für den irischen Republikanismus) …“


Erstveröffentlichung: Indymedia, 27.6.2012 weiterlesen >>

Vollständiges Interview mit Gerry Adams im Original
in englischer Sprache auf SF-TV

Deutsche Übersetzung: weiterlesen >>