Der Film Shadow Dancer, die britischen Geheimdienste und der nordirische Friedensprozess

Veröffentlicht von

Kommentar zur Filmbesprechung von Jürgen Schneider in der Jungen Welt vom 25.9.2013: „Ein genaues Hinsehen – Der britische Spielfilm »Shadow Dancer« über die IRA im Klammergriff der Geheimdienste“

Shadow Dancer mag ein ganz spannender Thriller sein, der wie manch anderer Film dieses Genres die Kulisse des Nordirlandkonflikts der Spannung wegen benutzt. Aber glaubt Jürgen Schneider ernsthaft, es handele sich hierbei um eine Auseinandersetzung mit Aspekten des Nordirlandkonflikts?

Dabei ist das Thema des Einflusses der Geheimdienste tatsächlich brisant. Pro-britische Todesschwadronen wurden von den Geheimdiensten mit Waffen ausgerüstet, mit Informationen versorgt und in vielen Fällen gesteuert. Es gibt etliche Beispiele für den Einfluss der Geheimdienste auf die kleinen republikanischen Dissidentengruppen. Als Verräter in der Irisch-Republikanischen Bewegung wurden Donaldson (Sinn Féin) und Scappaticci (IRA) enttarnt, beide von Schneider in seinem Kommentar erwähnt.

Setzt sich der Film des Regisseurs James Marsh nun tatsächlich „mit den Folgen des Verrats in den sogenannten nordirischen »Troubles» auseinander“, wie es Jürgen Schneider formuliert? Das Buch von Tom Bradly, das die Vorlage zum Film lieferte, ist schwerlich geeignet, Kritisches über das Wirken von MI5, der Force Research Unit oder der Special Branch herauszufinden. Der Autor ist dem britischen Establishment eng verbunden. Von Prince William and Kate Middleton bekam er ein Exklusivinterview anlässlich ihrer Verlobung. Er gehörte dann auch zu ihren Hochzeitsgästen. Tom Bradly beschreibt sich selbst als unpolitisch, was meistens heisst, die herrschende – in seinem Fall die britische – Version des Weltgeschehens nicht in Frage zu stellen.

Sein Buch, die Vorlage für den „Shadow Dancer“ schrieb er 1998, im Jahr der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens, einem wichtigen Schritt im nordirischen Friedensprozess. Im selben Jahr zündeten die Gegner des Friedensprozesses auf republikanischer Seite, die Real IRA, eine verheerende Bombe in Omagh, die 29 Menschen das Leben kostete und 300 weitere zum Teil schwer verwundete. Es war der Versuch, den Friedensprozess in Schutt und Asche zu bomben. Heute weiss man, dass der britische Geheimdienst tief in das Attentat verstrickt war. Er verfolgte am Tag des Anschlags den Weg der Bombenleger per Handy-Ortung, gab der Polizei vor Ort falsche Informationen, so dass diese unbeteiligte Zivilisten zusätzlich in Richtung des Anschlagsortes lenkte. Nach dem Attentat verschwanden auf wundersame Art Zeugenaussagen, ermittelnde Polizisten wurden aktiv behindert. Es war wiederum die Real IRA, die später Denis Donaldson ermordete. Wer hatte Angst davor, dass er auspackt?

All das ist seit Jahren bekannt. Wie Jürgen Schneider daraus die Liebe des britischen Geheimdienstes zum nordirischen Friedensprozess ableitet, bleibt sein Geheimnis. Sein anonymer „Republikaner aus Belfast“ erinnert fatal an die anti-republikanischen „Berichte“, die in den Zeiten des Konflikts kursierten. Sie beriefen sich alle auf eine „Senior Republican Source“, eine hochrangige republikanische Quelle, natürlich immer anonym. Viele Witze kursieren im republikanischen Westbelfast über diese Art der „Berichterstattung“. Aber laut Schneider hat doch „der britische Geheimdienst MI5 Donaldson jahrelang dazu benutzt, die Adams-McGuinness-Führung zu stärken und die Kritiker des sogenannten Friedensprozesses zu schwächen“?

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Der britische Geheimdienst benutzte Denis Donaldson in einem seiner großen Angriffe auf eben diesen Friedensprozess: am 4. Oktober 2002 fuhr die nordirische Polizei PSNI mit einem massiven Polizeiaufgebot vor dem nordirischen Parlament in Stormont auf und verhaftete Parlamentarier von Sinn Féin in ihren Abgeordnetenbüros. Unter den Verhafteten befand sich auch Sinn Féins damaliger Büroleiter in Stormont, Denis Donaldson. Ein angeblicher IRA Spionagering sei für diese drastische Aktion verantwortlich. Die pro-britischen Unionisten zogen sich daraufhin aus der Allparteien-Regierung zurück, Verhandlungen wurden abgebrochen. Es war eine der schwersten Krisen des Friedensprozesses mitten in aufflammender Gewalt pro-britischer Todesschwadronen. Nur bei einem der verhafteten Sinn Féin Mitglieder fand sich belastendes Material, bei Denis Donaldson. Nach einiger Zeit wurde die Anklage gegen ihn fallengelassen, die Razzia hatte ihr Ziel erreicht. „Die Rache der Geheimdienste“, betitelte der Journalist Roy Greenslade im Guardian vom 9. Oktober 2002 seinen Kommentar und nannte die Razzia einen „makaberen Witz“ und einen Angriff auf den Friedensprozess, „der nur die Dissidenten in der IRA froh macht, die sich weigern, Sinn Féin auf ihrem Weg der politischen Auseinandersetzung zu folgen.“ Eine Schwächung der „Kritiker des sogenannten Friedensprozesses“ sieht wahrlich anders aus.

Politische Erfolge wie der nordirische Friedensprozess wurden und werden gegen die Hardliner im Staatsapparat, in Politik, Geheimdiensten, Militär und Polizei, gegen Diffamierungskampagnen und Macht der Mainstreammedien erkämpft. Hunderte Morde des Nordirlandkonflikts, bei denen staatliche „Sicherheitskräfte“ – Polizei, Militär und die britische Geheimdienste – Verbrechen verschleiert, angeleitet oder selbst verübt haben, harren der Aufklärung. Licht in einzelne Fälle dieses trüben Dunkels brachten bisher die Familien der Bloody Sunday Opfer, die Ballymurphy Familien, die Hinterbliebenen des Massakers in McGurks Bar und andere, die von Menschenrechtsgruppen und von Sinn Féin unterstützt, hartnäckig für Aufklärung kämpften und kämpfen. Die Aufklärung der Vergangenheit steht auch auf der Agenda der ungelösten Themen des nordirischen Friedensprozesses, um die im Herbst unter der Moderation des amerikanischen Politikers Richard Haas verhandelt wird.

Eine Auseinandersetzung mit Aspekten des Nordirlandkonflikts liefert weder der Film noch der Kommentar von Jürgen Schneider.


Filmbesprechung von Jürgen Schneider, Junge Welt vom 25.9.2013: weiterlesen >>

Hintergrundinformation: Collusion = „institutionalisierte Zusammenarbeit“ der ehemaligen nordirischen Polizei RUC, der britischen Armee und der Geheimdienste mit loyalistischen Killerkommandos. weiterlesen >>

Hintergrundinformation: Der nordirische Friedensprozess weiterlesen >>